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Das Jahr der Maus

Das Jahr der Maus

Titel: Das Jahr der Maus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang (Hrsg.) Jeschke
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Regentropfen rauf, wenn Du mir mit dem nächsten Transporter einen dieser so begehrten Glimmersteine vom Mars sendest.
    Erinnerst Du Dich an unseren Ausflug in die mongolische Steppe? ›Der Mars kann bestimmt nicht öder sein als das. Also kann ich mich gerade so gut da hinaufschiessen lassen‹, hast Du damals gewitzelt. Wie kommst Du mit Deinen literarischen Notizen vorwärts?
    Ich fühle mich Dir nah, Amber
     
    In ihrer morgendlichen Hochstimmung fragt sie Sifu, ob es möglich wäre, mit einer Person auf der Marsbasis New Fenix ein Cybertreffen durchzuführen.
    Sifu meldet sich mit einem Voicemail: »Amber, theoretisch stünde einem solchen Treffen nichts im Wege. Eine stabile Funkverbindung wird vorausgesetzt, was von der Stellung der Planetenkörper im Raum abhängt. Zudem müßte der Hackfleischtrick angewendet werden, denn sonst kommen wir nicht an der Han-Kontrolle vorbei, die das Monopol auf die außerterrestrische Kommunikation innehat. Zu diesem Thema wurden u.a. von NipponSpace zahlreiche virtuelle Experimente durchgeführt. Konkret hat sich für eine Umsetzung in die Realität noch niemand zur Verfügung gestellt. Die Risiken sind sehr hoch, und bei einem mißratenen Versuch könnte die physische und psychische Entität des Probanden arg strapaziert, wenn nicht gar gefährdet werden. Ich erinnere außerdem daran, daß nun beinahe täglich Unbefugte auf meine Datenbank zugreifen wollen. Ich arbeite an einer Verteidigung und werde bald Unterstützung haben.«
    Amber bedankt sich bei Sifu und sucht in ihren Sprachlernprogrammen nach einer Lektion in angewandtem Latino als Vorbereitung für ihre Reise nach Newbang. »Latin’ american oder latino calle?«
    »Eine Zusammenstellung aus beiden, mit Schwerpunkt auf semantischen Verschiebungen und Neologismen der letzten fünf Jahre.«

 
LEDA
     
    Vor den Bullaugen des Transporters schweben luftige Wolken, die sich wie eine Zeitrafferaufnahme von sich faltenden Gebirgsmassen bewegen.
    Leda hat recht gehabt mit ihrer wenig erfreulichen Einschätzung: Amber hat sich in den letzten zwei Jahren zu einer linientreuen Infobeamtin entwickelt. Eine bittere Erkenntnis für eine Frau, die stolz darauf war, jederzeit unabhängig und selbstbestimmt durch die Welt zu wandern. Wahrscheinlich sind das die Anpassungen an den Alltag, die gemeinhin mit Erwachsenwerden bezeichnet werden. Von idealistischen Vorsätzen Abschied nehmen und sich im Dschungel des Lebens mit Improvisationsvermögen eine neue Ethik zusammenzubasteln, die mit dem zu vereinbaren sein sollte, was der Vorstellung der Eltern und Ahnen entsprach.
    Amber spürt den Verspannungen in ihrem Körper nach, der untere Rücken fühlt sich an wie ein Holzbrett, die Beine kribbeln, und der Nacken ist steif.
    Sie erinnert sich nur mit Mühe an den Appartementkomplex mit bröckelnder Fassade, in dem sie sich mit Leda eine Dreizimmerwohnung mit Zugang zum Pool im Hof geteilt hatte. In der Zwischenzeit ist die spröde wirkende Freundin zu einer schillernden Diva mutiert und hat sich an die Spitze des Weltkonzern der Geishas hochgearbeitet. Diese Organisation, der während ihrer Studienzeit noch ein Anstrich von billiger Prostitution und schmieriger Pornobranche anhaftete, ist, unter anderem auch dank Ledas Cleverness und Charisma, zu einem der mächtigsten Konglomerate GAIAS, der Global Association of Industries, Arts and Sciences, geworden. GAIAS steht über allen politischen, wirtschaftlichen und religiösen Strukturen der Erde und versucht in einer Mischung aus Diplomatie, Autorität und Intrigen alle auftretenden Entwicklungen und Probleme der Völkergemeinschaft zu meistern. Natürlich waren nicht alle Resultate so grandios wie die Vorsätze, die bei GAIAS Gründung zu Beginn des neuen Millenniums gefaßt wurden. Aber immerhin existiert eine Arena, in der Auseinandersetzungen und Zelebrationen auf einer globalen Basis ausgetragen werden.
    Der Flüssigkristallbildschirm zeigt die Reisedaten an; vierzig Minuten bis zur Landung auf dem La Reina-Flughafen, Außentemperatur bei Landung 25°C, Luftwerte befriedigend bis gut, keine Einschränkungen auf den Straßen.
    Ein Expreßmail meldet sich mit Blinken an: Leda kann Amber nicht persönlich abholen, sie wird am Ankunftsterminal ihre Limousine mit Fahrer bereitstellen. Es erwartet sie, wie Leda stolz anmerkt, ein aufgemotzter rosa Chevy-Oldtimer, Baujahr 1999. Amber seufzt, in der autofanatischen Agglomeration ist dieses Gefährt eine seltene Perle, nach der sich selbst

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