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Das Jahr der Maus

Das Jahr der Maus

Titel: Das Jahr der Maus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang (Hrsg.) Jeschke
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ließ sie dem Programm Zeit, sich zu entwickeln. Im Lauf der Jahre ist es ganz beiläufig zu Sifu gewachsen, einem höflichen intelligenten Helfer, der immer bereit und wachsam ist.
    Aus Bequemlichkeit übertrug ihm Amber immer komplexere Aufgaben. Als er diese ohne Fehler und mit Geschick ausführte, konfigurierte sie Sifu so, daß er jetzt mit ihr nur Kontakt aufnimmt, wenn er eine Angelegenheit nicht selbst erledigen kann oder Ambers Interessen irgend einer Bedrohung ausgesetzt sind.
    Lilis Programmierung war perfekt gewesen, bloß hatte ihr die Geduld gefehlt. Genau dies war Ambers Stärke, sich Zeit zu lassen, und die Dinge beim Entstehen zu beobachten. Den Abläufen ihr eigenes Tempo lassen und nur eingreifen, wenn es nicht anders geht. Beziehungen verfolgen und dabei herausspüren, wie sich jemand in einer imaginären oder zukünftigen Situation verhalten wird.
    Amber kämmt die Haare aus dem Gesicht, steckt den HandySchirm mit der Datenbrille, den Fischtank und die LedaSwan- FeelDisk in ihren Rucksack. Sie eilt aus ihrem Zimmer in den Aufenthaltsraum, wo Leda und Aicha bereits beim Frühstück sitzen. Amber nimmt eine Tasse Tee und einen Teller frischen Fruchtsalat. Leda lächelt ihr aufmunternd zu, wechselt einige unverfängliche Sätze und widmet ihre volle Aufmerksamkeit erneut Aicha, die ihr verliebt zublinzelt.
    Das Frühstück wird begleitet von atonaler Sitarmusik, die von der Com-Anlage verströmt wird. Warme repetitive Melodien, die einem nach wenigen Minuten in einen meditativen Zustand versetzen. Amber atmet entspannt durch. Der Nervosität keinen Platz lassen. Angstgefühle gar nicht erst aufkommen lassen.
    Auf dem Weg zur Garage wird sich Amber klar, daß sie so schnell wie möglich herausfinden muß, woher Huang die Fische hat und wer überhaupt von deren Existenz weiß. Kennt Huang den wahren Wert dieser Tiere? War das Geschenk Zufall oder Absicht?
    Huang hat sicher eigene Interessen in dieser Geschichte. Er benutzt seine Arbeitgeberinnen, um an das heranzukommen, was ihn wirklich interessiert. Was könnte das sein?
    Huang öffnet mit einem breiten Grinsen den drei Frauen die hintere Wagentür. Als Amber einsteigen will, bittet Leda sie, auf dem vorderen Sitz Platz zu nehmen.
    Mit einem leisen Surren schiebt sich eine wasserklare Scheibe zwischen dem Vorder- und dem Hintersitz in die Höhe. Aichas ansteckendes Lachen verstummt im Moment, in dem die Scheibe die Wagendecke berührt und sich in undurchsichtiges Milchglas verwandelt. Leda hat per Knopfdruck die Anordnung der Glaskristalle verändert, sie will mit Aicha die halbstündige Fahrt zur GeishaBioTech-Anlage, kurz GBT, schall- und blickdicht genießen. Umso besser, denkt Amber gähnend, so kann sie in Ruhe ihren Gedanken nachhängen und vollends wach werden.
    Huang, der auf dem Fahrersitz Platz genommen hat, startet den Motor, tippt verschiedene Tasten an, um den Autopiloten zu aktivieren und lehnt sich entspannt ins Polster zurück. Er trägt einen dunkelblauen Anzug, dem nicht unähnlich, den er in Singa bei der Party anhatte.
    Amber bemerkt, daß der gewohnte üble Autogeruch aus einer Mischung von Benzingestank, giftigen Abgasen und billigen synthetischen Materialien, den sie aus ihrer Kindheit kennt, in Ledas Chevy durch ein subtiles Pflanzenbouquet ersetzt ist, das es normalerweise in den Chefbüros zu riechen gibt. Teure, exklusive Düfte als Statussymbol für Einflußreiche. Beachtenswert, daß Leda derart Wert auf snobistische Äußerlichkeiten legt.
    Das Schnurren des Motors wird von einem Zwitschern überlagert, das von Ambers Handy stammt. Es ist das mit Sifu vereinbarte Signal, daß Amber sich sofort online zu melden hat. Während sie sich die Brille hastig überzieht und den Zugang via Satellit aufs Netz aktiviert, überlegt sie, um welchen Notfall es sich handeln mag. Bisher hat Sifu dieses Signal nie benutzt. Etwas Ernstes also.
    Der Meister steht mit besorgter Miene in seiner Bibliothek, in der sich Bücher, Schriftrollen und Datenträger in den verschiedensten Formen stapeln. Die größte Menge an Information ist unter dreidimensionalen bunten Signeten abgelegt, deren Systematik nur Sifu durchschaut.
    »Danke, Amber, daß du sofort reagiert hast«, empfängt sie seine warme Stimme. »Vor einer Stunde hat mich hier jemand besucht, ohne daß ich ihm die Erlaubnis dazu erteilt habe.«
    »Wer war es? Was wollte er?« Verdammt, jemandem war es gelungen, trotz der Sicherheitsschranken an Sifu heranzukommen. Und erst noch in die

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