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Das Jahr der Maus

Das Jahr der Maus

Titel: Das Jahr der Maus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang (Hrsg.) Jeschke
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war, unterwirft sich nicht so schnell wieder einer Autorität. Aus diesem Grund wendet sie sich an ihn. Er ist schlicht zu clever, um bloß ein Untergebener zu sein, auch wenn er den Chauffeur und Callboy professionell spielt. Ob die Geishas vermuten, wie es um seine Loyalität steht?
    Bis zum heutigen Tag hat sich Amber in solchen Angelegenheiten jeweils auf ihre Intuition verlassen können. Schief lief es eigentlich nur immer dann, wenn ihre Ratio die innere Stimme übertönt, wenn ihr Ehrgeiz sich über alles andere hinwegsetzt. Und durch das attraktive Angebot von Leda wurde gerade ihr Ehrgeiz zu Ungunsten ihrer Gefühle angeregt.
    »So, hast du mit dem Schwan Spaß gehabt«, holt Huang sie aus ihren Gedanken. Seine Stimme klingt nicht eifersüchtig, eher spöttisch: »Ich kam an deinem Zimmer vorbei, als du in LedaSwan warst. Du schienst so beschäftigt, daß du mich nicht wahrgenommen hast.«
    »Weiß sonst jemand davon?«
    »Nur nicht so nervös, LedaSwan kannst du überall haben. Es ist nicht gerade billig, und gerade deshalb so erfolgreich. Das Lieblingsspielzeug der Einsamen. In Cali stehen wir damit an der Spitze der Cybergame-Hitparade. Wir sind hier nicht in Asien, es gibt keine Zensur.«
    »Huang, ich brauche deine Hilfe. Leda hat mich angeworben, ich habe zwei Tage Zeit, um mich zu entscheiden. Du scheinst den Laden besser zu kennen als ich. Lohnt es sich, dafür alles über Bord zu schmeißen?«
    »Wenn du die Sachen mit dem Schwan magst, bestimmt.« Huang schmunzelt: »Hupo, was willst du? Karriere, Reichtum, Einfluß, Intrigen? Dann bist du hier richtig. Hier laufen die besseren Parties als in Singa, die Leute sind lockerer, die Drogen billiger.«
    »Warum hast du mir all die Mails geschickt?«
    »Warum? Hupo, hat dir denn niemand beigebracht, wie das normale Leben funktioniert?«
    Das trifft Amber härter als erwartet, gerade weil Nelson in Ulan Bator ihr etwas ähnliches gesagt hatte. Er hielt sie für viel zu besessen von Äußerlichkeiten wie gesellschaftlichem Ansehen und beruflichem Fortkommen.
    »Woran arbeiten die Geishas?« fragt Amber, um das unangenehme Gebiet zu verlassen.
    »Biotech, virtuelle und reelle Sexclubs, Cyberporno, jetzt vermehrt softwarebezogen, seit sie sich mit den Zulus verbündet haben. So Sachen wie LedaSwan werden Millionen einbringen. Ich bin dabei, weil sie gut bezahlen …«
    »Und Bios anderswo Mühe haben, eine Stelle zu bekommen«, unterbricht ihn Amber barsch.
    Huang packt sie an den Schultern, sie sieht ein ärgerliches Funkeln in seinen Augen: »Ja, ich bin ein Bio, einer von der Sorte, die sie in vielen Ländern nicht wollen, weil wir anscheinend einen Verrat an der Schöpfung darstellen. Aber sag mir, ist die DNA eines Menschen besser als meine, einfach nur weil sie im zufälligen Aufeinandertreffen eines Spermiums mit einer Eizelle entstand? Vielleicht bin ich denen körperlich, intellektuell und geistig überlegen. Was dann? Mein Immunsystem reagiert schneller als ihres, mein Metabolismus ist anpassungsfähiger. Viren und Bakterien, die einen Menschen krank machen, können mir nichts anhaben. Und sie können sich mir trotzdem ihr ganzes Leben lang überlegen fühlen, weil ich als Embryo in einem Tank heranwuchs und nicht im Schoß einer Frau.«
    »Ich habe gar nichts gegen Bios«, verteidigt sie sich eher lahm.
    »Klar, solange sie sich auf Distanz halten oder dich nicht direkt konkurrenzieren. Schau mir in die Augen und sage mir, daß du mich als ebenbürtig ansiehst.«
    Ambers Augen haben sich an die Dunkelheit gewöhnt, Huangs Iris verschmilzt mit den Pupillen, es sind zwei dunkle klar begrenzte Tuschkreise, die sich gegen das Milchweiß der Augäpfel abheben.
    Was soll das? Amber ist müde, sehr müde. Solche gefühlsgeladenen Szenen mag sie nicht, in virtuellen Telenovelaspielen ist das O.k., in der Wirklichkeit jedoch völlig fehl am Platz. Sie war nicht auf einen derartigen emotionellen Ausbruch vorbereitet und weiß nicht, wie sie reagieren soll. Wer hätte gedacht, daß Bios derartige Mimosen sein können. Soll sie sich entschuldigen oder konsequent objektiv bleiben, was Huang sicher noch mehr gegen sie aufbringen wird. Sie hat keine Lust mit ihm weiter herumzustreiten. Amber streichelt unbeholfen seinen Arm: »Huang, entschuldige bitte. Ich wollte dich nicht verletzen.«
    »Du weichst aus«, bemerkt er bitter und läßt sie los. Er scheint nicht auf ihr Friedensangebot eingehen zu wollen. Sie versucht es nochmals mit einer persönlichen Aussage:

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