Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Jahr der stillen Sonne

Das Jahr der stillen Sonne

Titel: Das Jahr der stillen Sonne Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wilson Tucker
Vom Netzwerk:
fügte rasch hinzu: »Entschuldigen Sie, Mister. Ich bin kein großer Leser – und die anderen waren es wohl auch nicht.«
    »Sind Sie bibelfest?« fragte Chaney ihn plötzlich. »Kennen Sie die Offenbarung des Johannes?«
    »Ich lese nicht viel, Zivilist.«
    »Die erste Schriftrolle war das Original dieser Offenbarung – sie ist mindestens hundert Jahre älter als das im Neuen Testament enthaltene Buch. Und die Geschichte ist als Midrasch wiedergegeben. Deshalb ist Major Moresby wütend auf mich. Er und seinesgleichen wollen nicht, daß das Buch hundert Jahre älter ist, als bisher angenommen wurde; sie wollen es nicht als Fiktion sehen. Sie wollen sich nicht damit abfinden, daß diese Story von einem Priester geschrieben worden ist, der das Volk damit unterhalten oder inspirieren wollte. Major Moresby will nicht zugeben, daß es sich um Midrasch handelt.«
    Saltus nickte. »Bestimmt nicht! Er nimmt das alles todernst, Mister! Er glaubt an diese Prophezeiungen.«
    »Ich nicht«, antwortete Chaney. »Ich bin skeptisch, aber ich lasse anderen Leuten ihren Glauben. Ich habe nicht versucht, ihn zu untergraben; ich habe keine eigene Meinung geäußert. Aber ich habe nachgewiesen, daß die Offenbarung des Johannes eine spätere Kopie dieser Schriftrolle ist, die zudem verändert wurde. Die beiden Versionen passen nicht genau zusammen; die Nahtstellen sind zu erkennen. Der Verfasser der zweiten Version hat einige Abschnitte ausgelassen und sie durch neue ersetzt, die seiner Zeit mehr entsprachen. Kurz gesagt – er hat die Geschichte modernisiert. Aber er ist ohne großes Sprachgefühl ans Werk gegangen, so daß die Nahtstellen deutlich zu sehen sind.«
    »Und der alte William ist explodiert«, stellte Saltus fest. »Er hat Ihnen die Schuld an allem gegeben.«
    »Das haben fast alle getan. Sie hätten die Zeitungskritiken lesen sollen! Und erst die Kommentare meiner lieben Kollegen …« Chaney winkte resigniert ab. »Wenn ich wieder Urlaub mache, beschränke ich mich auf irgend etwas Harmloses. Vielleicht grabe ich in der Wüste Negev eine zehntausend Jahre alte Stadt aus oder entdecke Atlantis.«
     
    Sie gingen einige Zeit schweigend nebeneinander her. Ein Wagen fuhr an ihnen vorbei zur Kantine.
    »Eine persönliche Frage, Korvettenkapitän?« erkundigte Chaney sich.
    »Nur zu, Mister!«
    »Wie haben Sie es geschafft, diesen Dienstgrad in Ihrem Alter zu erreichen?«
    Saltus lachte. »Sie waren nicht beim Militär?«
    »Nein.«
    »Das liegt an unserem verdammten Krieg, den manche Leute schon als unseren Dreißigjährigen Krieg bezeichnen. In Kriegszeiten wird man schneller befördert – und man kommt schneller voran, wenn man in der Etappe kämpft. Als der Vietnamkrieg fünf Jahre lang gedauert hatte, begann meine Karriere. Als er zehn Jahre alt war, bin ich noch schneller befördert worden. Und als er schon fünfzehn Jahre andauerte – nachdem dieser Waffenstillstand sich als Bluff erwiesen hatte –, war ich der reinste Senkrechtstarter.« Er nickte nachdenklich. »Wir haben viele Männer und Schiffe verloren, als die Chinesen auf uns zu schießen begannen.«
    »Ja, ich weiß«, stimmte Chaney zu. »In Israel schreiben die Zeitungen hauptsächlich über den Existenzkampf ihres Landes, aber solche Meldungen werden natürlich auch veröffentlicht.«
    »Bisher hat die Öffentlichkeit nur Gerüchte gehört«, stellte Saltus fest. »Washington hält die Verlustziffern noch geheim – aber wenn sie eines Tages bekanntgegeben werden, können Sie sich auf einen Schock gefaßt machen. In einem Krieg ohne Kriegserklärung dringt vieles nicht an die Öffentlichkeit.« Er warf Chaney einen prüfenden Blick zu. »Erinnern Sie sich noch an die Hafenstadt südlich von Saigon, die von einer chinesischen Rakete zerstört wurde?«
    »Natürlich!«
    »Unsere Seite hat sich dafür revanchiert, Mister, und die Chinesen haben in der gleichen Woche zwei Eisenbahnknotenpunkte verloren. Dort sind jetzt nur riesige Krater zu sehen, und das fruchtbare Land ist in weitem Umkreis radioaktiv verseucht. Ihre Rakete hatte nur einen gewöhnlichen Atomsprengkopf, aber wir haben mit Wasserstoffbomben angegriffen. Behalten Sie das bitte für sich, bis Sie es in der Zeitung lesen – falls es je dazu kommt.«
    Chaney starrte ihn besorgt an. »Was haben die Chinesen getan, um sich dafür zu rächen?«
    »Nichts – noch nichts. Aber das kommt noch, Mister, das kommt noch! Sobald sie glauben, daß wir schlafen, fallen sie über uns her.«
    Chaney nickte

Weitere Kostenlose Bücher