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Das Jahr der stillen Sonne

Das Jahr der stillen Sonne

Titel: Das Jahr der stillen Sonne Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wilson Tucker
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schwach. »Nein, das ist unser direkter Draht zum Weißen Haus. Nehmen Sie bitte nicht den Hörer ab, sonst werden Sie mit dem Präsidenten verbunden.« Er deutete einladend auf den zweiten Liegestuhl unter dem Sonnenschirm. »Eine kleine Erfrischung?«
    »Nein, danke.« Chaney betrachtete ihn mit unverhohlener Neugier. »Haben Sie etwas über mich gehört?« Er sah kurz zu der Frau im Wasser hinüber.
    »Ich bekomme natürlich jeden Tag Berichte«, antwortete Seabrooke gelassen, »und bemühe mich, in jedem Punkt auf dem laufenden zu sein. Und ich bin es gewöhnt, daß Leute meine Motive und Entscheidungen mißverstehen.« Wieder ein schwaches Lächeln. »Es ist mein Prinzip, alle Wege zu erforschen, die zu einem gegebenen Ziel führen könnten. Hoffentlich stört es Sie nicht, daß ich mich dabei auch für Ihr Privatleben interessiere.«
    »Es hat nichts mit dieser Aufgabe zu tun.«
    »Vielleicht, vielleicht auch nicht. Ich kann es jedenfalls nicht ignorieren, denn ich bin ein methodischer Mann.«
    »Und ein hartnäckiger«, fügte Chaney hinzu.
    Gilbert Seabrooke war groß, schlank und grauhaarig; er erinnerte an einen würdigen Diplomaten, Richter oder Gelehrten und war sichtlich bemüht, diesen Eindruck durch Frisur, Kleidung und Auftreten zu bestärken. Chaney erinnerte sich, daß Seabrooke früher Gouverneur von South Dakota gewesen war, bis er nach zwei Amtsperioden einem Gegenkandidaten knapp unterlegen war. Nach seiner Niederlage war er in Washington aufgetaucht, weil die Partei ihre Getreuen nicht im Stich ließ, hatte einen Posten im Landwirtschaftsministerium bekleidet und war von dort ins Amt für Normung übergewechselt. Heute saß er hier am Swimming-pool und war allein für die ganze Forschungsstation verantwortlich.
    »Wie steht die Schlacht?« erkundigte sich Chaney.
    »Welche Schlacht?«
    »Die mit dem Senatsausschuß. Ich nehme an, daß er Dollars und Minuten zählt.«
    Seabrooke gestattete sich ein Lächeln. »Ständige Wachsamkeit beugt der Verschwendung von Steuergeldern vor, Chaney. Aber ich gebe zu, daß ich manchmal Schwierigkeiten mit diesen Leuten habe. Wissenschaftliche Dinge sind denen unheimlich, die selten mit ihnen konfrontiert werden, während Wissenschaftler oft zu den unverstandensten Menschen gehören. Das Projekt hätte es leichter, wenn mehr Phantasie ins Spiel käme. Hätte unsere Arbeit etwas mit dem Krieg in Asien zu tun und könnte sie militärisch verwertbare Resultate liefern, würden wir in Geld schwimmen.« Er machte eine resignierte Handbewegung. »So müssen wir um jeden Dollar kämpfen. Die Militärs und ihr Krieg haben absoluten Vorrang.«
    »Aber es gibt doch einen gewissen Zusammenhang«, warf Chaney ein.
    »Ich habe eben gesagt, daß wir es leichter hätten, wenn mehr Phantasie ins Spiel käme«, antwortete Seabrooke trocken. »Vorläufig hapert es damit noch, weil die Militärs manche Anwendungsmöglichkeit erst erkennen, wenn sie mit der Nase darauf gestoßen werden. Sie sehen vielleicht eine Möglichkeit, und ich glaube, eine andere zu kennen – aber weder das Pentagon noch der Kongreß werden sie innerhalb der nächsten Jahre begreifen. Wir müssen mit jedem Dollar sparen und sind auf den guten Willen des Präsidenten angewiesen, wenn wir weiterhin existieren wollen.«
    »Benjamin Franklins Schaukelstuhl war anfangs auch kein Erfolg«, stellte Chaney fest. Aber er sah eine militärische Anwendungsmöglichkeit und hoffte, daß die Militärs sie nie entdecken würden.
    Seabrooke beobachtete Kathryn van Hise und Arthur Saltus.
    »Ich habe gehört, daß Ihnen die Entscheidung schwergefallen ist, Chaney.«
    »Ich bin kein tapferer Mann, Mr. Seabrooke«, antwortete Chaney offen. »Das soll nicht heißen, daß ich ein ausgesprochener Feigling bin – aber ich habe kein Talent dazu, den Helden zu spielen. Ich halte Vorsicht für den besseren Teil der Tapferkeit und laufe lieber weg, solange ich noch kann.«
    »Aber Sie sind in Israel nicht weggelaufen, als Ihr Lager beschossen wurde.«
    »Richtig – aber ich wäre vor Angst beinahe gestorben.«
    Seabrooke runzelte die Stirn. »Glauben Sie, daß Israel den Krieg verliert? Daß alles bei Armageddo endet?«
    »Nein.«
    »Finden Sie die zweite Schriftrolle nicht suggestiv?«
    »Nein«, antwortete Chaney. »Israel ist seit fünf Jahrtausenden ein Schlachtfeld – seitdem die nach Norden marschierenden Ägypter mit den nach Süden vordringenden Sumerern zusammengeprallt sind. Schon damals haben Unglückspropheten ihre

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