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Das Jahr der Woelfe

Das Jahr der Woelfe

Titel: Das Jahr der Woelfe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Willi Faehrmann
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öffnete eine Haustür. Der Flur war bis auf den letzten Winkel belegt. »Nein. Nichts zu machen«, hieß es hier und im nächsten Haus.
    »Meine Frau ist krank«, sagte er. »Sie hat am Karfreitag geboren.«
    »Auch noch Kindergeschrei in der Nacht«, keifte eine alte Frau, die dicht hinter der Türschwelle lag. »Mach dich fort! Hättest eben eher kommen müssen.«
    »Dort oben ist ein ganzes Stockwerk frei«, höhnte ein Mann und wies mit dem Daumen eine gewendelte Treppe hinauf. Auf halber Stiege versperrte ein Klavier den Zugang. Es schien von oben hinuntergestürzt zu sein.
    Ratlos und ohne Mut stand Vater im Regen. Was sollte er sagen, wenn er ohne Aussicht auf ein Dach zurückkehrte?
    »Die armen Leute, die armen Leute«, sprach ihn da ein dünnes, altes Männlein an. Da hielt es Vater nicht mehr.
    »Gebt Ihr mir Quartier«, stieß er hervor. »Meine Frau liegt im Regen und hat am Karfreitag erst ein Kind geboren. Sie stirbt mir unter den Händen weg, wenn ich kein Haus, keine Kammer finde.«
    Der kleine Mann bedachte sich und antwortete schließlich: »Ich bin der Müller hier, weißt du. Ich bin ins Dorf zu meiner Schwester gegangen, weil ich mich nicht getraue allein in der Mühle auf dem Berg zu bleiben. Aber wenn ihr zur Mühle wollt?« Er drehte sich um und schrie mit seiner hohen Stimme in den Regen: »Gertrud, Gertrud!«
    Ein Mädchen lief herbei.
    »Zeig diesem Mann den Weg zur Mühle. Aber kehr sofort zurück.«
    »Ja, Vater.«
    Das Mädchen musste rennen, so schnell schritt Vater aus. Sie wies ihm den schmalen Weg, der zur Mühle hin führen sollte, und lief zurück. Die Männer mussten das Pferd vorsichtig führen, denn Regen und herabfließendes Wasser hatten den holprigen Weg aufgeweicht und glitschig gemacht. Konrad trottete hinter dem Fuhrwerk her. Albert hatte längst die Pappe fortwerfen müssen, mit der er Mutters Gesicht eine Weile zu schützen vermochte. Konrad fror. Ich bin bis ins Gebein hinein nass, dachte er. Nass und kalt. Wie heimelig ist doch eine trockene Stube, ein wärmendes Feuer. Und während ihm der Regen ins Gesicht klatschte, sah er sich in seine flauschige Jacke gehüllt neben dem weißen Kachelofen sitzen, die Beine angezogen. Und gegen das Fenster zeichnete sich der schwarze Schatten des Großvaters ab, die kühne Nase, das lange Haar. Irgendetwas fehlte dem Bild. Der Apfel, fiel ihm ein. Jeden Abend durfte ich mir einen Apfel aus dem Keller heraufholen. Am besten schmeckten die braunen Boskops mit der rauen, schrumpeligen Schale.
    »Ein Apfel«, sagte er laut.
    »Was redest du?«, fragte Hedwig, die sich neben Albert auf das Brett gehockt hatte.
    »Ich dachte an unsere Äpfel und an Leschinen«, antwortete Konrad und schauerte zusammen. Der Kachelofen war fort und auch die flauschige Jacke. Er spürte den Regen wieder, kalt und hart.
    Dann sahen sie die mächtigen Flügel der Windmühle über der Kuppe des Hügels. Vater packte Mutter ins Bett und deckte sie zu. Ein Feuer prasselte im Herd. Wärme kroch in die Glieder. Der Regen war ausgesperrt. Ein kurzatmiger Wind warf ihn wütend gegen die Scheiben.
    In der Nacht suchten noch vierzehn andere Flüchtlinge ein trockenes Plätzchen in der Mühle.

29
    »Jeder Tag ist ein neuer Schreckenstag«, sagte Vater am nächsten Morgen zu Konrad, der ihm zum Dorf hin entgegengelaufen war. »Birkow muss bis Mittag geräumt sein.«
    »Müssen wir weiter?«
    »Nein. Ich werde mich mit Mutter und Hubertus besprechen. Wir bleiben.«
    »Und die Russen?«
    »Nur wenn sie uns mit Gewalt fortjagen, dann brechen wir auf.«
    Hubertus war einverstanden.
    Die drei Flüchtlingsfamilien zogen gegen zehn Uhr davon. Bienmanns blieben allein in der Mühle zurück. Hedwig hatte entdeckt, dass im Stall eine Kuh stand. So gab es Milch für Franz und Elisabeth. Bis zum Abend blieben Bienmanns ungeschoren. Im Schutz der Dunkelheit schlich sich der Müller herbei. Er blieb jedoch an der Tür stehen, horchte in die Nacht und war ständig bereit davonzuspringen.
    »Ein Teil der Dörfler hält sich im Wald verborgen«, berichtete er. »Wir wollen einige Tage dort bleiben. Wenn diese Besatzung weiterzieht, kehren wir zurück.«
    Er nahm drei Decken und schloss die Kammer neben der Küche auf. Kurze Zeit später ging er eilig durch das Zimmer.
    »Brot«, sagte Hedwig. Sie hatte ein braunes Käntchen durch ein Loch der Wolldecke schimmern sehen. Da blieb der Müller stehen. Er schämte sich. Mit einem Ruck schlug er die Decke auf. Drei Brote lagen in seinem

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