Das Jahr der wundersamen Elvis-Vermehrung - Roman
Klischees, das selbst bei stinkfaulen Deutschen zur Grundausstattung ihres ausländerfeindlichen Weltbilds gehört. Ich war stinksauer auf mich. Allmählich misstraute ich mir selbst. Bülent schien die Frage nicht diskriminierend zu finden, was ich zwar erleichtert registrierte, für mich aber keineswegs als strafmildernd bewertete. Zur Strafe erwog ich sekundenlang, mir heute keinen Whiskey zu erlauben, ließ den Vorsatz aber gleich wieder fallen – wegen unangemessener Härte. Er antwortete unbeschwert, er habe heute frei, weil er die letzen fünf Wochen auch samstags gearbeitet habe.
»Wir könnten bei mir einen Kaffee trinken«, sagte ich und überlegte dabei, ob diese Einladung wirklich aus Interesse an dem Fremden oder doch nur wegen des schlechten Gewissens aus meinem Mund flog. Es war mir gar nicht klar, ob ich das wirklich wollte. Fremdartige Kultur, kaum Berührungspunkte und so, wahrscheinlich extrem unterschiedliche Standpunkte, vom Koffein beflügelte Emotionen, die beiderseitige Erkenntnis, einem Arschloch gegenüberzusitzen, erste Beleidigungen, schließlich Hass mit allen möglichen Folgen – und war es nicht so, dass alle Südländer stets ein Messer mit sich führten? Oh Gott, auch das noch. Nun musste ich doch innerlich grinsen.
Bülent zögerte kurz – womöglich ähnliche Bedenken wälzend – und nickte dann lächelnd. Das etwas schiefe Elvis-Lächeln. War mir vorhin schon aufgefallen, der Mund, und überhaupt, das Gesicht erinnerte stark an das des jungen Elvis, was nur wegen Bülents Kurzhaarschnitt und dem dünnen Oberlippenbärtchen nicht sofort auffiel.
Mein Turm empfing uns nicht nur warm, wenn nicht gar überheizt, sondern aufgeräumt und oberflächlich sauber. Knastgewohnheit, logisch, das Ergebnis jahrelanger dumpfer, automatenhafter Verrichtung, wusste ich ja, aber jetzt, in diesem Augenblick, mit einem Gast an meiner Seite, auf naive Weise befriedigend, sogar mit einer Prise Stolz gewürzt. Laken, Decke, Kopfkissen, stramm gespannt, perfekt gelegt, verbreiteten quasi-militärischen oder Justizvollzugsanstalts-Charme, sozusagen 1A, Geschirr gespült, Kloschüssel frei von peinlichen Flecken, Klamotten tiptop gefaltet, Aschenbecher ausgeleert und ausgewischt.
Bülent sah sich dezent um. Er hatte, wie ich später erfahren sollte, bisher nur wenige deutsche Wohnungen von innen gesehen. In diesen Wohnungen hatte er aber Unmengen von dem Zeug gesehen, das in Kaufhäusern glänzte, auf Werbeplakaten glitzerte und ein paradiesisches Leben versprach: Geschirrspülmaschinen, Entsafter, E-Herde mit vier Kochflächen, Teppichböden, fette Couch-Garnituren, Schrankwände, Zimmerpalmen oder Gummibäume.
Mein Zimmer sah eher nach Gastarbeiter- oder Verliererbude aus. Nicht mal ein Fernseher. Bülent ließ sich, ob aus Höflichkeit oder weil es ihm tatsächlich schnuppe war, nichts anmerken. Ich fühlte mich dennoch gehemmt – nicht wegen der kargen Inneneinrichtung, Gott bewahre, sondern wegen des Fremden – meine Bewegungen kamen mir unbeholfen vor, als ich den Wasserkessel füllte und auf eine Kochplatte setzte. »Ich muss erst mal das Tier füttern«, sagte ich entschuldigend, öffnete eine Dose Ölsardinen, ließ das Öl in den Abfluss laufen, kippte die Sardinen auf einen Unterteller und stellte die Mahlzeit auf den Fußboden. Der Kater – ich weiß nicht, ob er so was wie Dankbarkeit verspürte – schrie jedenfalls begeistert auf und machte sich schmatzend an die Arbeit.
»Ist das deine Katze?«
»Dann wär sie garantiert nicht so abgemagert.« Ich stellte verärgert fest, dass in meinem Ton Entrüstung mitschwang, als hätte die harmlos gemeinte Frage meine Ehre verletzt. Ich stellte den Kassettenrekorder an. Beatles. Ihre frühen Songs von den Scheiben
With The Beatles
und
Beatles For Sale
.
»Beatles finde ich gut«, sagte Bülent. »Aber mehr so die langsamen Stücke. Elvis finde ich noch besser. Seine langsamen Songs. Wegen Elvis hab ich Englisch gelernt. Ich kann singen wie Elvis. Kein Scheiß.«
Oh Mann, dachte ich genervt, schon wieder Elvis.
Ein wenig später, während sich das Tier zufrieden putzte, goss ich die dunkelbraune, dampfende Flüssigkeit in zwei Becher, der Geruch verteilte sich wohltuend im Zimmer. Ich hatte ein paar Kekse auf einen Teller geschüttet, aber wir rauchten lieber zum Kaffee – erst mal schweigend. Dann stieß der Türke hervor: »Ich muss in die Türkei, zum Militär. Stinkt mir total. In der türkischen Armee ist ein Rekrut so gut wie
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