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Das Jahr der wundersamen Elvis-Vermehrung - Roman

Das Jahr der wundersamen Elvis-Vermehrung - Roman

Titel: Das Jahr der wundersamen Elvis-Vermehrung - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dittrich Verlag GmbH
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Atemluft aus beiden Nasenlöchern; ich war dankbar und traurig zugleich. »Das geht auf keinen Fall, Bülent. Du kannst mich nicht begleiten. Hörst du? Wenn dir etwas zustoßen sollte, wär ich für den Rest meines Lebens unglücklich.«
    Der Kater schnarchte, zuckte ab und zu mit einem Ohr, einem Bein, schien zu träumen und sich auf meinem Schoß, in meinem Zimmer ausgesprochen wohl und sicher zu fühlen. Meine Hand lag auf seinem Pelz, beschützend und wie ein Versprechen. Ich hätte mich auch liebend gern auf einem Schoß befunden, schläfrig, beschützt, nicht unbedingt schnurrend oder schnarchend, aber mit einer warmen Hand auf mir, einer möglichst nicht allzu verschwitzten Hand, weil ich ja nun mal keinen Pelz trug und außerdem selbst reichlich Schweiß absonderte.
    Bülent war hellwach. Keine Spur von Schläfrigkeit. In seinem Kopf schien sich innerhalb kürzester Zeit ein Umbruch vollzogen zu haben, vielleicht von mir entfacht, schon möglich, auf jeden Fall durch mich beeinflusst, eine Revolution im Mikrokosmos seines Hirns, nun in seinen Augen erkennbar, in seiner Körperhaltung, der Ausdruck von Zielstrebigkeit und Wagemut. »Was soll das denn wieder?«, raunzte er mich an. »Du bist sowieso unglücklich. Das riecht man selbst mit verstopfter Nase, Mann. Du dünstest Angst und Einsamkeit aus. Weißt du das nicht? Aber mach dir keine Gedanken. Ich begleite dich nur, um den Ärschen zu zeigen, dass du nicht allein bist.«
    »Kannst du denn mit so was umgehen?« Meine an sich vernünftige, von Reife zeugende Ablehnungshaltung gegen Bülents Angebot löste sich schneller auf als ein Eiswürfel zwischen Doris’ Brüsten.
    Bülents Stimme, gewollt rauh, sein aufgesetztes, von dieser mir nur zu gut bekannten Mischung aus jugendlicher Unsicherheit und Selbstüberschätzung geprägtes Lachen, riss mich weg von Doris und der Sehnsucht nach ihren Titten und dem Geschmack ihrer Haut. »Mit was umgehen? Mit einer Pistole? Ich hab schon oft geschossen, Mann, auf Bäume, im Wald, bei Aumühle; mein Onkel Kerim hat mir alles gezeigt – Schlitten zurückziehen, Magazin füllen, einschieben, durchladen, zielen, ruhig abziehen, peng. Mein Vater nicht. Der hat nicht dabeisein wollen, vielleicht aus Angst, erwischt zu werden, hat aber diese Art von Initiationsritus nicht nur geduldet, sondern akzeptiert.«
    Sein Versuch, ein abgebrühtes Marlon-Brando-Grinsen hinzukriegen, misslang natürlich, logisch, weil man zu einem Marlon-Brando-Grinsen geboren sein muss, aber das war mir schnurz, denn ich staunte nicht schlecht über die souveräne Lässigkeit, mit der er das Wort
Initiationsritus
eingebaut hatte. Und das Übrige hörte sich auch ganz vernünftig an.
    Also nickte ich, intensiv, aber wortlos, innerlich irgendwie zustimmend, wenn auch im Vagen bleibend, während ich den fremden Freund ansah und dabei hoffte, dass er die Dankbarkeit in meinem Blick erkennen würde.
    Er beugte sich mir entgegen, sein Blick suchte etwas in meinen Augen, Wahrhaftigkeit möglicherweise; er wollte mir so gern vertrauen. »Hör zu«, sagte er. »Im Sommer hab ich mal die Waffe gegriffen, einfach so, nur, um einmal mit einer Knarre durch Hamburg zu laufen, um zu erfahren, ob man sich mit einer Pistole sicherer fühlt. Mit der S-Bahn bin ich bis Klein-Flottbek gefahren, lief dort herum und kam schließlich in eine Gegend mit Reihenhäusern der besseren Sorte. Eine Gruppe Jugendlicher hing dort herum, offenbar gelangweilt, drei, vier Mädchen, sechs oder sieben Jungs – und als sie mich sahen, sprachen sie aufgeregt miteinander, dann kamen sie mir entgegen. Sie meinten tatsächlich mich, wie ich gleich erkannte. Sie waren unverhüllt feindselig und quatschten mich auf eine rüde Weise an, von wegen in dieser Gegend sei in der letzten Zeit häufig eingebrochen worden, Typen wie ich hätten hier nichts verloren, ich sei garantiert unterwegs, um ein Objekt auszukundschaften. Jedenfalls stachelten sie sich gegenseitig auf, und es dauerte auch gar nicht lange, bis sie vereinbarten mich sozusagen prophylaktisch zu verprügeln. Dass ich meine Lage als beängstigend empfand, kannst du dir sicher denken. Einer fasste mich an. Ich knallte ihm meine Faust ins Gesicht und rannte. Sie hetzten mich geradezu, die Mädchen genauso wie die Jungs. Und plötzlich befand ich mich in einer Sackgasse. Ja, Mensch, ich stand mit dem Rücken zur Wand und hatte nicht nur Angst vor meinen Jägern, sondern auch vor den Bewohnern dieser Reihenhäuser, die, wie ich

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