Das Jahr der wundersamen Elvis-Vermehrung - Roman
dermaßen an, das kannst du dir gar nicht vorstellen.«
Von einem bitteren Lächeln begleitet, murmelte ich: »Du weißt nicht, was es bedeutet mit mir herumzureisen. Du hast keine Ahnung. Den Menschen, die mir nahestanden, hab ich nur Unglück gebracht.« In diesem Moment bedauerte ich mich schon wieder mal selbst.
Bülent, der meine Unglücksthese ja schon kannte, sprach ohnehin unbeeindruckt einfach weiter: »Gleich werd ich die Pistole zurückbringen und den größten Teil des Geldes verstecken. Wenn ich weg bin, schreib ich meinem Vater in einem Brief, wo das Geld ist und dass es ihm gehören soll.«
»Wie ich ihn einschätze, wird er es ablehnen. Unredlich erworbenes Geld …«
Bülents breites Grinsen sagte mir, dass ich so gut wie nichts von den Leuten aus Ostanatolien wusste. Er klang auch dementsprechend belustigt: »Na klar, mein Vater ist ein anständiger Mensch, betet fünfmal am Tag, ist aber kein religiöser Fanatiker, schlägt seine Frau nicht, obwohl er nach dem Koran das Recht dazu hätte, wie er gern betont, stiehlt und betrügt nicht, hat allerdings von manchen Dingen eine Auffassung, die mit der deutschen Rechtsauffassung nicht vereinbar ist. In seiner Jugend hat er öfter kiloweise Opium von Bingöl nach Istanbul transportiert. In einem Koffer. Im Bus. Verdammt gefährlich. Viele sind dabei erwischt worden. Ich werde ihm sagen, ich hätte eine fette Ladung Haschisch aus dem Freihafen rausgeholt und wäre dafür gut bezahlt worden. Vielleicht ist er dann, wenn auch nur still für sich, ein wenig stolz auf mich. Außerdem hilft ihm die Kohle, aus der Scheiße rauszukommen. Demnächst heiratet meine Schwester, sein Bruder in Bingöl braucht Geld für den Arzt, der Fernseher ist aus der Steinzeit, das Sofa durchgesessen, na ja, lauter solche Sachen – und es wurmt ihn, dass an allen Ecken das Geld fehlt, was wiederum tiefe Kratzer an seinem Stolz hinterlässt. Meinem Vater ist es schon peinlich, dass er Frührentner ist. Findet er irgendwie unmännlich. Hat nur noch einen Lungenflügel. Jahrelang mit Asbest gearbeitet. In Deutschland.«
Auf traurige Geschichten war ich momentan nicht gerade scharf. Erinnerung an den Knast. Da wird man mit traurigen Geschichten regelrecht zugeschissen. Und draußen, in der sogenannten Freiheit, laufen ja auch Millionen mit traurigen Geschichten rum. An jedem Tresen lauert einer, der nur darauf wartet, einem mit seiner traurigen Geschichte den Abend zu versauen. Ich war in jener Zeit kein allzu sozialer Typ. Nur die Geschichten von Doris und Fred hatten mich wirklich interessiert. Als Vorbild taugte ich ganz und gar nicht.
Ich sagte kühl, fast geschäftsmäßig: »Am Montagmorgen, noch vor Tagesanbruch, fahren wir. Am liebsten würd ich mich heute schon verpissen, aber ich muss noch einen Reisekorb für Elvis und natürlich ein Auto besorgen.«
»Du willst die Katze mitnehmen? Ehrlich?«
»Soll ich sie etwa in die Kälte jagen?« Mein Ton klang wohl ein wenig genervt, denn Bülent hob beschwichtigend beide Hände. »Schon gut, meinetwegen, ich dachte ja nur, wegen der Umstände. Wo fahren wir überhaupt hin?«
»Nach Bad Harzburg.«
»Ach, du Scheiße. Nicht gerade die große weite Welt. Aber egal. Ich kenn sowieso kaum was von Deutschland.«
Bei Anbruch der Dunkelheit wagte ich mich aus dem Haus, trotz des mulmigen Gefühls, das mich auf Schritt und Tritt begleitete. Ich huschte zur nur einen Steinwurf entfernten U-Bahn-Station Feldstraße. In meiner Situation bedeutete schon die Fahrt mit der U-Bahn allerhöchste Konzentration, obwohl ich an der nächsten Station wieder ausstieg. Sankt Pauli. Es kam mir vor, als klebte mein Steckbrief an jeder Hauswand.
Nur ein paar Schritte zum Porno-Kino am Millerntor. Mein erster Besuch eines Porno-Kinos. Vor meiner Knastzeit hatte es so was noch nicht gegeben. Damals waren in den Bahnhofs-Kinos die spießigen Sex-Filmchen vorgeführt worden, geradezu züchtig und trotz der nackten, Geschlechtsverkehr simulierenden Darsteller verklemmt, was schon an den Titeln abzulesen war:
Hausfrauen-Report, Schulmädchen-Report, Auf der Alm, da wird gejodelt
und so’n Scheiß. Ich hatte im S PIEGEL und in den Tageszeitungen von den Porno-Kinos gelesen und es unglaublich gefunden.
Deep Throat
und solche Sachen. Hatte mir vorgestellt, nach meiner Entlassung Porno-Star zu werden, mir schon Künstlernamen ausgedacht, zum Beispiel ›Superschwanz‹ oder ›Fickmaschine‹. Aber vermutlich war ich erstens schon zu alt, zweitens
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