Das Jahr der wundersamen Elvis-Vermehrung - Roman
sehr wenig von dir.«
Ich versuchte gar nicht erst, meine Erregung zu tarnen und schilderte knapp, noch immer schnaufend, was soeben vorgefallen war. Dankbar nahm ich den von Bülent nebenher gekochten Kaffee, wir rauchten dazu, ich sagte: »Der Drecksack wird garantiert umgehend bei Berti petzen, was ganz klar bedeutet, dass ich noch heute weg muss.« Angewidert doch professionell reinigte ich die Messerklingen, bedauerte für zwei Sekunden, dass Leos Blut nicht daran klebte, war aber selbstverständlich heilfroh, dass diesmal die Menge vergossenen Blutes, im Vergleich zum Friedberg-Gemetzel, mit einem Schulterzucken abgetan werden konnte.
Grübelnd schaute Bülent dem Kater zu, der sich das Fell so intensiv leckte, als hätte er vor, heute auszugehen. Bülent gehörte zweifellos nicht zu den Leuten, die in Tieren nichts weiter als mobile Pflanzen sahen und ihnen deshalb keine ernstzunehmenden Gefühle zugestanden. Ein um Verständnis bemühtes, irgendwie forschendes Interesse an Kater Elvis hatte ich allerdings auch noch nicht an ihm festgestellt.
Und nun sagte er zu meinem Erstaunen: »Für das Tier hätte ich was. In unserer Wohnung steht ein Weidenkorb mit verschließbarer Klappe.« Er hatte sich also doch Gedanken gemacht, wenn auch vielleicht oder wahrscheinlich nur, um mir einen Gefallen zu tun. Ich belohnte ihn mit einem Grinsen der Erleichterung.
Endlich war es dunkel geworden. Doch ich musste mich noch zwei weitere Stunden gedulden, bis es auf den Straßen ruhig war, bis die Menschen in ihren warmen Stuben beim Abendbrot oder vor der Glotze saßen.
Draußen wurde ich zu einem Schatten, ein Schattenmensch mit hochgeschlagenem Kragen, dicht an den Hauswänden und geduckt um die Ecken streichend, kakerlakenhaft das Licht scheuend, immer angespannt. Solche gibt es in jeder Großstadt – und in jeder Großstadt gibt es jene, die nach ihnen suchen.
Ich suchte im Moment eine stille Seitenstraße, möglichst schlecht beleuchtet. In der Lippmannstraße schien ich richtig zu sein. Aus einigen Fenstern flackerte bunt das Licht der Fernseher.
Ford Granada mit Kassettenrekorder, nicht das neuste Modell, leicht zu knacken, geräumig und kräftig. Ich schob den Metallstreifen routiniert zwischen Gummidichtung und Seitenscheibe ins Innere der Tür, fand schnell den Öffnungsmechanismus und ruckzuck, schon saß ich auf dem Fahrersitz und bückte mich hinunter. Die beiden Kabel, das Übliche, kennt ja jeder, der Motor sprang an, klang satt und gesund; indem ich das Steuer mit aller Kraft nach rechts und links riss, knackte ich das Lenkradschloss. Schön, dass einiges noch wie in alten Zeiten war.
Morgendämmerung. Ein Parkplatz fast vor der Haustür. Schon lag das Gepäck im Kofferraum. Elvis in seinem Weidenkorb maunzte fragend und verunsichert, ich redete auf ihn ein, in diesem Alles-wird-gut-Ton, den man gewöhnlich Kindern zukommen lässt, der aber auch bei ihm zu wirken schien.
Fehlte nur noch Bülent. Ich hätte verstanden, wenn er nicht imstande gewesen wäre, das warme, enge, doch Schutz versprechende Umfeld zu verlassen. Doch da kam er, hochgradig aufgeregt, scheu um sich schauend, nicht ganz frei von Pathos, stahl sich aus dem Elternhaus wie alle jungen Leute, die sich frühmorgens mit hämmerndem Herz auf die Straße zum großen Erlebnis begeben. Seine Reisetasche war zwar prall gefüllt, aber nicht sehr groß. Ja, ja, mein lieber Hans, dachte ich wehmütig, in dem Alter hat auch dir eine solche Reisetasche genügt. Als Bülent sich in den Beifahrersitz fallen ließ, stieß er geräuschvoll die Luft aus seinen Lungen und blickte mich, unsicher grinsend, an.
Ich zuckte die Achseln. »Du hast ’ne Entscheidung getroffen, mein Lieber. Mit Konsequenzen!«
Den klugen Spruch fand er hilfreich. Dankbar nickte er mir zu.
Sobald wir losfuhren, ließ er den coolen Macker raushängen, es war echt zum Piepen, ließ lässige Sprüche los, öffnete das Fenster, legte den Arm darauf ab, zog den Arm wieder zurück, wegen der Kälte, klar, wir hatten ja Frost, er schloss das Fenster, steckte sich ’ne Zigarette in den Mund und nuschelte: »Gib Gummi, Alter, oder bist du eingeschlafen?«
Auf der Autobahn wurden wir lockerer.
»Schöne Musik«, lobte Bülent, der Mink de Ville zwar nicht kannte, aber mit der Musik offenbar etwas anzufangen wusste.
Spanish Stroll, Cadillac Walk
und
Venus Of Avenue D
ließen ihn erst überrascht, dann allmählich verstehend lächeln. »Ich hab schon vorher, in deinem Zimmer, beim
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