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Das Jahr der wundersamen Elvis-Vermehrung - Roman

Das Jahr der wundersamen Elvis-Vermehrung - Roman

Titel: Das Jahr der wundersamen Elvis-Vermehrung - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dittrich Verlag GmbH
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irritierte, den sie ihm in die Cola kippten: V AT 69. Vor ihm stand schon der dritte Longdrink. Da er noch nie zuvor betrunken gewesen war, ging ich davon aus, dass er noch Jahre später an diesen Abend denken würde – nicht mit Wehmut, nein, mit Grausen.
    Die ersten Auswirkungen des Alkohols schien Bülent gar nicht als solche wahrzunehmen. Er wurde immer kecker. Was er seiner ohnehin guten Stimmung zuschrieb. Während ich Doris von meiner öden Zeit in Hamburg erzählte, bemerkte ich, wie er Juana kess zuzwinkerte und sie freundlich und harmlos ebenfalls zwinkerte. Mir gefiel das gar nicht. Mulmiges Gefühl. Verdammt, dachte ich, jetzt hält er sie garantiert für ein Flittchen. Als er den vierten Longdrink bestellte, schien er ein äußerst angenehmes, lockeres Körpergefühl zu verspüren, als wären die Glieder aus Gummi – ich kannte das. Er schob seinen Arsch bis zur Sitzkante vor, lag jetzt fast auf dem Stuhl, streckte entspannt die Beine von sich und schaute sich neugierig, an allem interessiert, um.
    In einer Ecke der Bühne hatte man die Tombola-Preise aufgebaut: Toaster, Rührstäbe, Fondue-Sets, Blutdruck-Messgeräte, Rheuma-Decken, Reisewecker, Teflon-Pfannen, Weinbrand, Korn, Schnapsgläser, Harzer Käse mit Holzbrettchen und Käsemesser, Marzipan-Brote, Christstollen, signierte und gerahmte Fotos von Siegfried Rupf, sowie ein Set mit sechs Eierbechern und einem Salzstreuer und, oh Wunder, sogar ein Buch, irgendein Machwerk von Konsalik.
    »Du solltest beim nächsten Drink den Whisky weglassen«, mahnte ich besorgt, also keinesfalls missmutig oder gar mit autoritärem Unterton. Aber wie auch immer – es war zu spät.
    »Bissu mein Vater, hä?«
    »Nein, natür…«
    »Dann halt die Klappe!« Er lachte ungläubig, als er merkte, dass die Bewegungen seiner Glieder nicht mehr so koordiniert abliefen, wie er es von ihnen gewöhnt war. Das schien ihn jedoch nicht zu beunruhigen – eher zu amüsieren. »Gutes Gefühl«, sagte er entspannt grinsend und dabei die Asche von seiner Zigarette lässig in sein Glas schnipsend, »irgendwie schön. Und auch lustig. Ich komme mir vor wie aus Gummi.« Er prustete vor sich hin, trank seinen Teufelstrank mitsamt der Asche und einigen anderen unappetitlichen Einlagen, die versehentlich da reingeraten waren, saugte genüsslich an der Kippe, wurde nachdenklich und sagte, die Stirn gedankenschwer gerunzelt: »Is ja komisch, dass Allah was gegen so’n geiles Feeling hat. Aber er hat ja auch was gegen Haschisch und Miniröcke und noch’n paar andere Sachen. Was soll’s. Ist ja ’ne Ausnahme. Man muss das Teufelszeug ja zumindest kennenlernen, nicht war?, um überhaupt mitreden zu können. Ich kenne einige fromme Moslems, die schon mal getrunken haben und davon überzeugt sind, dass Allah so einen Ausrutscher nicht schlimm findet. Ist ja schließlich kein Schweinefleisch.« Kichernd klatschte er seine Hand auf meinen Rücken. Mein sorgenvoller Blick amüsierte ihn köstlich.
    Aber Achtung! Nun wurde das Licht geschickt gedimmt, ein bläulicher Lichtstrahl suchte seinen Weg zur Bühne, in deren Hintergrund sich ein älterer Herr hinters Schlagzeug setzte und zwei junge Männer mit langen Haaren sich E-Gitarre und Bass umschnallten. Trommelwirbel. Ein gelbes Spotlight erfasste den strahlend lachenden, beide Arme ausbreitenden Siegfried Rupf, der mit Grandezza zum Mikrofon schwebte, ein Bühnen-Recke, dem das Rampenlicht die nötige Energie verlieh.
    Lustloser Beifall. Auch Doris und Juana, die bis zur Grenze ihrer Leistungsfähigkeit klatschten, kreischten und pfiffen, ließen den Applauspegel nur unwesentlich ansteigen, ja, sie bewirkten sogar ein verhaltenes, jedoch unüberhörbares Murren in ihrer näheren Umgebung: ›Scheiß-Groupies‹ und ›besoffene Weiber.‹
    Anfangs, ich kann es nicht leugnen, freute ich mich klammheimlich über den kühlen Empfang, den man dem dicklichen Elvis-Verschnitt bereitet hatte, doch bald klingelte die Alarmanlage meines Gewissens, und ich verstand sofort: Schon wegen Doris hatte ich nicht das Recht, Siegfried Rupf ein Waterloo zu wünschen, außerdem hatte mir dieser wenn auch ziemlich lächerlich wirkende Typ da oben auf der Bühne überhaupt nichts getan. Er war mir zufällig ins Visier geraten, ein Bär auf einer Lichtung, arglos – und ich sollte der mordlüstige Jäger sein?
    Doris hielt es nicht mehr auf ihrem Stuhl. Sie sprintete über die Tanzfläche zur Bühne und raunte dem Elvis-Vergewaltiger etwas ins Ohr, dem

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