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Das Jahr der wundersamen Elvis-Vermehrung - Roman

Das Jahr der wundersamen Elvis-Vermehrung - Roman

Titel: Das Jahr der wundersamen Elvis-Vermehrung - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dittrich Verlag GmbH
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Laternenmasten, angeödet von diesem Leben, von den Freiern und Zivilbullen – hier, in dieser traditionellen Nuttengegend, war groteskerweise Prostitution verboten. Die ganz jungen Nutten waren vom Heroin gezeichnet, die ganz alten vom Alkohol.
    30 Mark für ein Doppelzimmer im Hotel
Paradies
, Toiletten und Duschen am Ende des Flurs. Blick aus dem zweiten Stock auf den Hansa-Platz, auf dem sich Junkies mit Dealern und Hehlern trafen, auf dem türkische Kinder spielten, Tauben das Denkmal über dem Brunnen, eine Frauengestalt in Siegerpose, mit ihrer Scheiße veredelten, Freier mit süchtigen Nutten feilschten, Penner sich um Tabak und die Kornflasche stritten, kräftig gebaute Kotzbrocken ihre Pitbulls kacken ließen, Dichter ihre Großstadt-Gedichte schrieben und Soziologen Milieu-Recherchen betrieben.
    Von Romantik keine Spur. Es war heiß und feucht, bis auf die Moslem-Frauen waren alle leicht bekleidet – manche nach meinem Geschmack zu leicht. Nicht, dass ich prüde wäre, ganz bestimmt nicht, aber im Moment quälte mich diese Art von Reizüberflutung. Ich blickte wie ferngesteuert auf kaum verhüllte Titten und Arschbacken, schöne und, na ja, auch die anderen, die eher abschreckenden Titten und Ärsche, hatte plötzlich ein riesiges Rohr in der Hose, würde jetzt selbst die teigige Schlampe an der Rezeption vernaschen und knurrte eine Weile animalisch vor mich hin. Ich hatte eisern und mit einem Ziel, nämlich einer Vagina, vor Augen seit einer Woche die Finger nur zum Waschen und Pissen an meinen Schwanz gelassen, war seit zweieinhalb Tagen frei und noch immer endlos weit entfernt von einer möglichst feuchten Möse.
    »Morgen besuche ich Geli«, sagte ich, auf der Bettkante sitzend, in der einen Hand eine Bierdose, in der anderen die Zigarette. Ein lakonisches Grinsen hing in meinem Gesicht – ich konnte es spüren, dieses Grinsen, schon weil ich immer noch jeden Muskel spürte, quasi die Nachwehen jener Absturznacht. »Ich fühl mich noch immer verdammt unsicher, hab noch gar nicht voll begriffen, dass ich nun jederzeit jeden Raum, in dem ich mich aufhalte, verlassen und anschließend überallhin gehen kann, in jeder Kneipe rumhängen und saufen kann. Na, vielleicht nicht in jeder.« Mein Grinsen wurde breiter, wenn auch nicht lockerer. »Hab ja vieles nicht mitgekriegt. Damals war es jedenfalls so, dass man ab einer bestimmten Haarlänge nur noch eine begrenzte Auswahl an Gaststätten hatte. Obwohl ich nie so ’ne richtige Hippie-Matte trug – über die Ohren und den Kragen reichend, das schon, aber ziemlich korrekt frisiert und geföhnt – und auch nicht wie ein Hippie gekleidet war.«
    »Das ist irre, Buddy!« Fred, auf dem einzigen Stuhl sitzend, ebenfalls mit Bierdose und Zigarette bewaffnet, blickte mich verwundert an. »Mir geht es ganz genauso. Das heißt, äh, ich meine, natürlich konnte ich immer weggehen und in Kneipen rumhängen – das mit dem Hausarrest ist ja schon seit einem Vierteljahrhundert vorbei und die Knastzeit eine Ewigkeit her –, aber ich war dabei stets mit Schuldgefühlen beladen; immer lastete der Gedanke an meine Mutter, an die morgendliche Gerichtsverhandlung, mit ihr als geifernder Anklägerin und gnadenloser Richterin in einer Person, wie das Kreuz, das Jesus zu seiner Hinrichtungsstätte schleppen musste, auf meinen Schultern. In gewisser Hinsicht war ich auch ein Gefangener. Ich fürchte mich ein wenig vor dieser Freiheit – weil ich sie ja gar nicht richtig kenne.« Zutraulich beugte er sich vor, mit einem Grinsen, das Befriedigung und Lust zugleich ausdrückte. »Weißt du, ich hab hier bereits in den ersten zehn Minuten Unmengen von Schwulen gesehen, sie quasi in Gedanken enttarnt. Hier muss irgendwo ein Nest sein. Da kann man seine Furcht vor der Welt schon mal eine Zeitlang beiseite schieben.«
    Ich nickte. »Das ist die richtige Einstellung.«
    An diesem Abend lief nicht viel. Im Vergleich zum Abendprogramm in einer Drei-Mann-Zelle war natürlich alles unglaublich spannend, allein das Bewusstsein, ein freier Mann an einem mit Brandlöchern übersäten Tresen zu sein, erregte mich. Die sexuelle Erregung vermochte ich in den Hintergrund zu drängen, indem ich mich mit Fred und meinem unmittelbaren Tresen-Nachbarn unterhielt, über irgendwelche Scheiße, Fußball oder so, mit Absicht oberflächlich, nichtssagend, weil ich fürchtete, ein tiefsinniges, intelligentes Gespräch würde nach kurzer Zeit die Gegensätze offenbaren, in Streit ausarten, die

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