Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Jahr der wundersamen Elvis-Vermehrung - Roman

Das Jahr der wundersamen Elvis-Vermehrung - Roman

Titel: Das Jahr der wundersamen Elvis-Vermehrung - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dittrich Verlag GmbH
Vom Netzwerk:
stachelig ab, und überhaupt ähnelte Rupf einem etwas zu alten Punker. Die Platz- und Striemenwunden im Gesicht verstärkten das Loserimage.
No future
? Auf ihn schien es zuzutreffen.
    »Mein Gott, Siegfried!«, rief Doris erschüttert aus. Juanas Teint wurde so weiß wie das Elvis-Kostüm vor einigen Stunden gewesen war. »Ich geh dann mal rüber«, flüsterte sie und entfernte sich vorsichtig, als würde eine unbedachte Bewegung Siegfrieds Wunden wieder bluten lassen.
    Der Blessierte ließ wild die Augen rollen. »Wo ist der Türke? Ich bringe den Drecksack um!« Seine Hände schienen einer imaginären Person gerade den Hals umzudrehen.
    Den Gelassenen spielend, goss ich Whiskey in Juanas Glas, das ich, Abstand wahrend, der Elvis-Ruine reichte. »Bleib mal auf dem Teppich«, sagte ich so cool, dass ich mich selbst bewunderte. Und weiter: »Wie hast du uns denn gefunden?«
    Doris meldete sich pflichtbewusst: »Ich hab ihm gesagt, wo ihr wohnt. Aber nun setz dich erst mal, Siegfried, ich wasch dir die Wunden aus.«
    »Und wie hast du das Zimmer gefunden?«
    »Die besoffene Frau an der Rezeption hat mir die Zimmernummer verraten.« Ein Leuchten lag flüchtig auf seinem Gesicht. »Sie hat mich sofort erkannt, hat gesagt, sie sei ein Fan von mir.« Achtlos, als wäre es Wasser, goss er den Schnaps in sich hinein, und stumm, doch mit deutlicher Geste, verlangte er mehr davon.
    Diesen Wunsch, selbst wenn er höflicher geäußert worden wäre, erfüllte ich mit Widerwillen. Wir hatten ja nur diese eine Flasche, und außerdem drängte sich mir die Befürchtung auf, noch mehr Alkohol könne womöglich in Siegfrieds geschundene Psyche wie eine Bombe einschlagen.
    Ich zündete zwei Zigaretten an, reichte eine davon dem Lädierten und sagte souverän, von der positiven Wirkung meiner Worte überzeugt, im Alles-unter-Kontrolle-Tonfall: »Ist scheiße gelaufen, Siegfried, klar, aber auf jeden Scheißtag folgt irgendwann ein guter Tag. Lass es uns einfach von
der
Seite sehen.«
    Wirkung: so was von negativ, geradezu kontraproduktiv. Mit theatralischer Gebrochenheit setzte sich der zerrupfte Elvis-Imitator auf den Stuhl, schaute Doris mit Augen an, in denen das Leiden aller Elvis-Imitatoren dieser Welt zu sehen war, dann bohrte er seinen Blick, in dem nichts als Verachtung lag, in meine Augen und – spuckte mich an. Einen richtig fetten Spuckeklumpen hatte er glücklicherweise nicht auf Lager, er brachte nur einen nicht weit genug reichenden Sprühregen zustande, doch das fand ich auch schon unmöglich.
    Er schob noch ’ne Ladung behämmerter Sätze nach: »Schieb dir deine Kalendersprüche ins Arschloch, du Würstchen. Wer bist du überhaupt, du Quatschkopf? Wieso ist meine Freundin um Mitternacht in deinem Hotelzimmer, hä? Verdammt noch mal, wer bin ich denn, dass ich mir auch noch diese Schmach gefallen lasse?«
    Bevor in meinem Gehirn der Entschluss, diesem Arsch meinen Drink in die Fresse zu schütten, bis zur Vollendung reifen konnte, griff Doris ein und rettete meinen Whiskey.
    »Ey, Moment, stop, halt!« Sie richtete sich auf, wäre fast aus dem Sessel gesprungen, ließ sich aber wieder, als hätte sie blitzschnell darüber nachgedacht, zurück in die einigermaßen bequemen Polster sinken, reckte jedoch den Kopf energisch vor. »Anscheinend muss ich hier einiges klarstellen, Jungs …« – ich schmunzelte anerkennend in mich hinein, denn ich hatte ihre Klarheit ja fürchten und lieben gelernt –, »also, um keine Missverständnisse aufkommen zu lassen, lieber Siegfried, wir haben mal ’ne Nacht zusammen verbracht, okay, war auch schön, aber wir sind nicht zusammen. Ich mag dich, bin aber nicht in dich verliebt und hab dir das zu verstehen gegeben. Um ehrlich zu sein …« – jetzt würde der Hammer kommen, das wusste ich und ich freute mich darauf –, »um ehrlich zu sein, ich könnte mich niemals in einen Mann verlieben, der Elvis Presley so imitiert wie du – ohne die geringste Spur von Ironie, von distanzierter Lockerheit und eigener Persönlichkeit. Was du veranstaltest, ist alles nur unsagbar traurig.«
    Das klang sehr gut, das war Balsam in meinen Ohren. Rupf hingegen sah aus, als hätte sie ihn mit diesen Worten vernichtet. Er starrte ins Leere, das Glas an sich gepresst, müde an der Zigarette saugend, der massige Körper schien zu zerfließen. »Mach dir keine Sorgen«, hauchte er, »ich gebe dich frei. Außerdem werde ich sowieso nie mehr als Elvis auftreten. Heute habe ich den Hass in den Augen meines

Weitere Kostenlose Bücher