Das Jahr der wundersamen Elvis-Vermehrung - Roman
denn schließlich spielte er eine wichtige, oder besser gesagt, die entscheidende Rolle in unserem Plan, der, um genau zu sein, von Doris stammte. Als sie Bülent singen gehört habe, sei ihr blitzartig klargeworden, dass der Junge ein gewaltiges Talent besäße, das nur darauf warte, entwickelt und gefördert zu werden. Dazu das Gesicht. Die Ähnlichkeit mit dem jungen Elvis Presley sei verblüffend. Natürlich müssten die Haare noch etwas länger werden, damit sich daraus die Elvis-Tolle formen lasse, das alberne Oberlippenbärtchen sei am besten sofort zu entfernen. Dann hatte sie aufgeregt in ihrem umfangreichen Adressbuch geblättert und war fündig geworden: Eddy Tietgen, ehemaliger Freund von ihr, der vor drei Jahren in Timmerhorn, einem Dorf bei Hamburg, einen Bauernhof erworben und die Scheune zu einem Tonstudio umgebaut hatte. Überdies kannte er in der Hamburger Musikszene Gott und die Welt. Doris war gleich zur nächsten Telefonzelle sozusagen gesprintet und nach fünf Minuten abgehetzt, doch, Wellen des Triumphs ausstrahlend, wieder aufgetaucht. »Alles bestens!«, hatte sie gejubelt. »Er freut sich, und wir können dort ’ne Weile wohnen!«
Es wurde schon dunkel. Die Raststätte Brunautal. Ich fuhr sie an – und mitten hinein in eine Personen- und Fahrzeugkontrolle. Massenhaft Bullenwagen und Bullen mit Maschinenpistolen. Die Polizei hatte zur Zeit ’ne Menge Arbeit, nicht nur wegen der Terroristen. Es gab noch andere Ärgernisse. Militante Kernkraftgegner beispielsweise, radikale Feministinnen, denen manche alles zutrauten, illegale Einwanderer, nicht zuletzt die lawinenartige Verbreitung harter Drogen.
Ein sechs Jahre alter Opel Admiral galt keineswegs als bevorzugtes Gefährt der Terroristen oder der radikalen Feministinnen, würde aber vielleicht einen Bullen, der
French Connection
gesehen hatte, auf dumme Gedanken bringen. Weil der Admiral schon verdammt amerikanisch aussah und einen riesigen Kofferraum hatte. Hundertmal, wenn nicht noch öfter, war ich schon von Bullen angehalten, überprüft und mit Blicken seziert worden, doch ich hatte es nie vermocht, die Prozedur gelassen zu ertragen. Jedes Mal war wie das erste Mal. Enorme Anspannung, fast immer eine Leiche im Keller – und die jetzige Leiche im Keller war Bülents Kanone im Kofferraum. Vor meinem inneren Auge liefen bereits einige Untergangs-Szenarien ab. Und außerdem musste ich dringend pissen.
Selbstverständlich waren wir für die Jungs in Uniform interessant. Ausweiskontrolle, alles paletti, dann die üblichen bohrenden Blicke in unsere Gesichter, ins Wageninnere. Gangster mit Katze und Katzenklo? Ungewöhnlich, aber vielleicht nur Tarnung, wegen des Niedlichkeitsfaktors.
»Würden Sie mal den Kofferraum öffnen?«
Herrgott, jetzt wurde es kritisch. Selbstkontrolle war in hohem Maße angesagt. Auf der Suche nach so was wie einer genialen Idee trieb ich hektisch, viel zu fahrig, ein Gedanken-Rudel vor mir her.
»Öffnen Sie bitte das Gepäck!«
»Wonach suchen Sie denn eigentlich, verdammt noch mal? Sehen wir aus wie Terroristen?« Doris’ Unmutsäußerung prallte wirkungslos an den Uniformen ab, obwohl, na klar, auch die Bullen angespannt waren. Seit Monaten enorm angespannt, weil sich einige von ihnen Kugeln eingefangen hatten – und wer lässt sich schon gern von einer Kugel durchlöchern. Diese hier verhielten sich cool, strahlten Autorität aus und ließen sich nicht provozieren, verrichteten ihren Job allerdings zu nachlässig. »
Wir
stellen hier die Fragen«, antwortete einer von ihnen streng, aber keineswegs herrisch. Ein kurzer Blick auf die geöffneten Koffer und die Reisetasche.
»Danke, das war’s, gute Weiterfahrt.«
Jetzt aber ganz, ganz schnell. Ich parkte vor dem Rasthaus, warf mich aus dem Wagen und rannte zum Klo.
Statt auf der Autobahn östlich an Hamburg vorbeizufahren, erlaubten wir uns einen Umweg durch die City. War schon ein komisches Gefühl, wieder hier zu sein – den Feinden so nah –, aber auch ein verdammt mulmiges Gefühl. Doch das war nun mal nicht zu ändern. In Doris’ Adressbuch tummelten sich zwar reichlich Musiker, von denen sie die meisten in ihrer Hippie-Zeit kennengelernt hatte, doch Typen mit Bauernhof, Tonstudio und Verbindungen zur Musikszene gab es keineswegs wie Sand am Meer, und von daher war es ein Glücksfall, dass wenigstens einer von ihnen zu den Freunden meiner Freundin zählte. Ich hätte ja, ehrlich gesagt, lieber eine Kneipe aufgemacht, irgendwo in der Provinz,
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