Das Jahr der wundersamen Elvis-Vermehrung - Roman
Katzenklo befanden sich im Fond. Ich fuhr den Wagen, wer sonst? Die nicht enden wollende Euphorie, die sich meiner bemächtigt hatte, empfand ich, wie man sich denken kann, grundsätzlich als ungemein wohltuend, schon weil ich in letzter Zeit nicht sehr oft in diesen Genuss gekommen war – sie beunruhigte mich aber auch irgendwann wegen ihrer Beharrlichkeit. Auf keinen Fall wollte ich das Schicksal eines ehemaligen Mithäftlings erleiden, den die Euphorie nach einem gewonnenen Dame-Spiel erfasst, nicht mehr verlassen und geradezu aufgefressen, in einen ständig bescheuert grinsenden Wirrkopf verwandelt hatte. Aber trotzdem, logisch, alles erste Sahne, denn neben mir saß Doris, der Wagen lag sicher und fett in der Spur, die weißen durchbrochenen Linien schienen uns entgegenzufließen auf dem breiten Band der Autobahn, voller Tank, doch die Karre war verdammt durstig, was uns aber glatt am Arsch vorbeiging.
Jesus Just Left Chicago
von ZZ Top haute in diesem Moment voll rein – satte Gitarre, rauhe Stimme, dreckiger Sound, alles vom Feinsten –, und wir alle, Kater Elvis womöglich inbegriffen, verstanden sofort, dass dieser Song speziell für uns und diese Fahrt gemacht zu sein schien. Ein Gemeinschaftserlebnis, das uns, von Elvis vermutlich abgesehen, den guten alten Gänsehaut-Effekt bescherte, was meine Euphorie bedenklich steigerte.
»Wie weit ist es noch bis Hamburg?« Schon wieder diese Frage von Bülent. Jede Viertelstunde. Ich ignorierte die Kinderfrage. Schien ihn einen Scheiß zu stören – vielleicht, weil er ohnehin checkte, dass diese Fragerei der Aufregung geschuldet war, und zudem schien ihn die vorbeigleitende Landschaft zu beschäftigen. Unentwegt starrte er aus dem Seitenfenster, fühlte sich vielleicht zum ersten Mal, nun ja, nicht unbedingt mit diesem Land verbunden, aber ihm doch nahe und dazu bereit, es mit ihm und den darin Wohnenden zu versuchen. Ob’s wirklich so war, wusste ich selbstredend nicht. Aber wenn doch, dachte ich, immer noch euphorisch, dann herzlichen Glückwunsch, Hans, sauberes Integrations-Paradebeispiel, nachahmenswert. Schon musste ich grinsen, weil mir die Kanone einfiel. Die Pistole in Bülents Reisetasche, dachte ich, halbwegs ernüchtert, doch trotzig den Integrations-Gedanken verteidigend, wirft einen unübersehbaren Schatten auf das positive Bild, vollkommen klar, und wiederum sehr kompliziert, da bewaffnete Ostanatolier in unserer freiheitlich-demokratischen Gesellschaft ein beschissenes Image haben, vielleicht zu Recht, keine Ahnung, ich sag mal, wahrscheinlich zu Recht, weil sie die Regeln der traurigen anatolischen Bergdörfer, aus denen sie kommen, verinnerlicht und im Hinterkopf gelagert haben, und dort – Vorurteil hin oder her – schläft das archaische Selbstjustiz-Monster unruhig und ist leicht zu wecken, oder es wartet ständig lauernd auf den richtigen Zeitpunkt. Na gut, dachte ich, wird doch noch ’ne Weile dauern mit der Integration, obwohl, weiß ja jeder, auch zahllose Deutsche, schon aus Tradition, zu den Waffen-Fans zählen und spätestens abends am Tresen die Selbstjustiz-Scheiße vehement vertreten. Tagsüber unscheinbare, graue Gestalten kippen abends den Giftmüll aus ihren Köpfen auf solche Tresen. Nicht nur die Selbstjustiz-Scheiße, die Forderung nach der Todesstrafe, die Wut auf Schmarotzer aller Art kommt da zur Sprache, sondern fast jeder bekennt sich, völlig frei von Scham und sogar stolz, zum Bescheißen des Staates. Schwarzarbeit, gefälschte Kassenbücher, schwarz gekaufte Ware. Aber natürlich dürfen nur echte Deutsche den Staat bescheißen. Schwarzarbeiter und andere Steuersünder türkischer Herkunft sollte man – einhellige Meinung an solchen Tresen – sofort abschieben, rücksichtslos.
Ich war mit meinen Überlegungen recht zufrieden. Nicht der große Wurf, okay, nur ein paar Gedanken hinterm Steuer, aber durchweg im Einklang mit dem Grundgesetz und selbst mit dem Strafgesetzbuch. Innerlich musste ich lachen. Denn obwohl ich mir ernsthaft geschworen hatte, den kriminellen Weg zu verlassen, war ich meiner Psyche gegenüber sehr skeptisch. Wer wird schon von heute auf morgen vom
bad boy
zum
good guy
?
Aber vielleicht wanderten auch ganz andere Gedanken durch Bülents Kopf, vielleicht nahm er die Norddeutsche Tiefebene nur als vorübergleitende graue Winterlandschaft wahr, während es in ihm brodelte, während er in Gedanken ganz oben, weit über uns und der Landschaft, schwebte. Was ich nur zu gut verstanden hätte,
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