Das Jahr der wundersamen Elvis-Vermehrung - Roman
glaubte, so lange ich nicht mit Fanatismus, Intoleranz oder gar Hass konfrontiert wurde.
Jetzt aber schwieg ich erst mal, da der dichte Abendverkehr meine ganze Aufmerksamkeit erforderte. Bülent wurde unruhig, schien das Schanzenviertel zu riechen, die Heimat, nicht weit entfernt die Eltern, Geschwister, die Straßen, auf denen er zahllose Fußspuren hinterlassen hatte. Sein Vorschlag, die Gegend auf unserer Sightseeing-Tour zumindest zu streifen, kam für mich nicht unerwartet, stieß jedoch bei mir, dem Fahrer, auf Ablehnung. Feindesland, unnötiges Risiko, basta! In solchen Dingen gab es so gut wie nie Streit. Für Bülent war es – noch – selbstverständlich, dass ich als der deutlich Ältere das Sagen hatte.
Der Bauernhof befand sich, grob geschätzt, zweihundert Meter hinter dem Ortsende, etwas abseits der Straße, und war trotz der Dunkelheit leicht zu finden.
Als wir den Hof erreichten, stand Eddy Tietgen vor der Haustür, im Licht der Lampe über seinem Kopf, mit verschränkten Armen, flankiert von einem großen ockerfarbenen Hund auf der einen, und einer großen ockerfarbenen Katze auf der anderen Seite, ein hochgewachsener, breitschultriger Mann mit schulterlangem ockerfarbenem Haar, in der Pose eines in sich ruhenden Bauern, der mit seinem Hof, seiner Scholle, seinem Vieh verwachsen war. Obwohl er vermutlich von Ackerbau und Viehzucht nicht mehr Ahnung hatte als ich. Zumindest deutete nichts auf einen landwirtschaftlichen Betrieb hin.
Einladend ausgebreitete Arme, herzliche Begrüßung. Natürlich ging der größte Teil der Herzlichkeit an Doris, ja sie wurde darin regelrecht ertränkt. War auch verständlich, klar, aber dann dauerte mir das Umarmungsritual der beiden doch zu lange. Sie musste die Arme hochrecken und sich auf die Zehenspitzen stellen, um ihn zu umarmen. Das musste sie zwar auch bei mir, aber nicht so sehr wie bei diesem Baum. Ich sah ganz genau hin, sah aus den Augenwinkeln, dass Bülent auch genau hinsah. Sie grinsten sich endlos an, meine Freundin und ihr Ex-Lover, tätschelten sich gegenseitig, wenn auch nur an unverfänglichen Körperstellen, er drehte sich sogar zweimal mit ihr im Kreis. Mein Gott, dachte ich beunruhigt, ist das schon die Vorbereitung zur Paarung? Plötzlich zogen Filmsequenzen durch mein Hirn, ich sah die beiden nackt, ineinander verschlungen, verschwitzt und glitschig, vor Leidenschaft glühend, und er, der Hüne, selbstbewusst und zielstrebig, bestimmte den Ablauf wie ein Zeremonienmeister. Ich stoppte den Film. Eifersucht, sagte ich mahnend zu mir, ist hier nicht angesagt und überhaupt ein gefährliches Gift. Also ließ ich das Grinsen geduldig in meiner Fresse hängen, ein starres Grinsen, das schon, okay, doch kein verzerrtes, das deutlich auf seelische Qual hätte hinweisen können.
Bülent grinste nicht. Seine Körpersprache drückte zunehmend Unmut aus. Er beobachtete die ausgedehnte Umarmung so intensiv, als warte er nur auf den Moment zum Eingreifen. Wie ich annahm, wurde in ihm soeben ein saugefährlicher ostanatolischer Gefühlscocktail gemixt. Ich stieß ihn an. »Alles okay«, raunte ich, »die beiden kennen sich schon lange.«
»Tatsächlich? Gut, dass du mir das sagst.«
Die Sarkasmus-Nummer kannte ich gar nicht von ihm. Ich tätschelte beruhigend seinen Rücken. Und dann war das Thema auch gegessen, denn Eddy umarmte uns nun ebenfalls, und nicht zu knapp, fast schon bedrohlich, aber mit unentwegt strahlendem, offenen Gesicht, und führte uns, auf alle erreichbaren Schultern klopfend, ins Haus. Er gehörte eindeutig zur Spezies der gutmütigen Schulterklopfer, war vermutlich ganz harmlos, aber ich wusste aus Erfahrung, dass mir ständiges Schulterklopfen, wie gutmütig auch immer gemeint, nach einer Weile gehörig auf die Eier ging.
»Was ist mit Elvis?«, fragte ich. »Wo können wir den unterbringen?«
Eddy kapierte erst nicht und dachte, Bülent hätte sich schon in Elvis umbenannt. Doris zeigte ihm unser viertes Team-Mitglied, das allmählich vom Autofahren die Schnauze voll hatte. »Vielleicht«, gab ich zu bedenken, »ist es ratsam, den Kater vorerst von den beiden anderen Tieren fernzuhalten, weil es sonst ziemlich blutig werden könnte.«
Entspannt winkte Eddy ab. Seine Viecher, behauptete er, seien die friedlichsten Tiere der Welt. Er habe öfter Besuch von Leuten mit Katzen, Hunden und sogar Meerschweinchen. Es sei vielleicht merkwürdig, aber der Hund Ringo und die Katze Janis würden fremde Tiere offenbar nicht als
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