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Das Jahr der wundersamen Elvis-Vermehrung - Roman

Das Jahr der wundersamen Elvis-Vermehrung - Roman

Titel: Das Jahr der wundersamen Elvis-Vermehrung - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dittrich Verlag GmbH
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krassem Gegensatz zu ihrer Aggressivität stand. Sie hatte die Wohnung auf Hochglanz gebracht und vermutlich ihre Nase in jede Schublade, in jede Schatulle und selbst unter die Schränke und Betten gesteckt. Sie war hager, sehnig und besaß denselben strengen Gesichtsausdruck wie Freds Mutter. Nun saß sie im Wohnzimmer zwischen all den Spitzendeckchen und den Kissen mit den bestickten Bezügen, trank Tee und knabberte steinalte Kekse.
    »Schön, dass du dich auch mal wieder blicken lässt. Du hast dir wohl gedacht, die dumme Frau Kannegießer soll erst mal die Wohnung in Schuss bringen. Typisch für dich, dass du nicht da warst, als deine Mutter dich brauchte. Aber lassen wir das. Auf dich war ja noch nie Verlass. Ich frage mich nur, wo der Schmuck und das Geld deiner Mutter geblieben sind.« Tückischer Blick. »Weißt du etwas darüber? Oder dein, hm, hm, Freund?«
    Auf diese Reaktion war sie nicht vorbereitet: Fred griff sich die Teetasse, goss den Inhalt über die Kekse, warf die Tasse auf den Teppich und zertrat sie, dann beugte er sich zu Frau Kannegießer, kam ihr sehr nahe und fauchte in das erschrockene Gesicht: »Legen Sie bitte den Wohnungsschlüssel auf den Tisch und verschwinden Sie aus meiner Wohnung, Sie widerwärtige Schnüfflerin! Ich konnte weder Sie noch den Dalai Lama jemals leiden!«
    »Das ist ja wohl die Höhe! Wenn das deine Mutter …!« Sie hatte sich offenbar gleich wieder gefangen. »Du willst jetzt wohl ein Liebesnest aus dieser Wohnung machen! Und einen Strichjungen hast du auch schon mitgebracht! Ja, ich weiß, dass du vom anderen Ufer bist, du Schmutzfink! Das ist kein Geheimnis!«
    Zeit für meinen Einsatz. Auch wenn ich mit dieser Angst vor Autoritäten geschlagen war, hatte ich nie als Feigling gegolten. Ich baute mich vor ihr auf und sagte ruhig und bedrohlich: »Wenn du mich noch mal einen Strichjungen nennst, drehe ich dir den Hals um, du Flittchen!«
    »Flittchen?« Mehr traute sie sich nicht mehr zu sagen. Sie wurde hektisch, erhob sich erstaunlich flink, warf den Schlüssel auf den Tisch, griff sich ihre Handtasche und die Strickjacke – an der Tür, der Gefahr fast entronnen, drehte sie sich noch einmal um. »In Bad Homburg, in Friedberg und Bad Nauheim wird bald jeder wissen, dass hier in der Ludwigstraße ein Bordell für Homos aufgemacht hat. Dafür werde ich sorgen, dass es alle Welt erfährt!«
    Fred warf die Untertasse, ich den Zuckerstreuer nach ihr, doch sie war schon verschwunden, mit irrem Gelächter – und schrie durchs Treppenhaus: »Die Wohnung von Frau Fink ist ein Homo-Bordell!«
    Fred wirkte sehr zufrieden. Vorhin hatte er der Polizei einen Besuch abgestattet, sich ausgiebig erkundigt und schnell festgestellt, dass man auch dort von einem Unfall ausging. Der Showdown mit Frau Kannegießer war ebenfalls zufriedenstellend verlaufen, nicht ganz so glänzend, wie er sich vorgestellt hatte, aber die Schockwirkung hatte sich zu seiner Freude deutlich auf ihrem Gesicht ausgebreitet. Er wusste, diese Szene würde noch jahrelang durch den Kopf der Schnüfflerin geistern und vielleicht sogar ihren Tod bedeuten – aber das wäre zu viel des Glücks.
    »Und nun rechne ich mit meiner Tante Hedi in Offenbach ab!«, dröhnte er gut gelaunt durch die Wohnung, griff sich das Telefon, zwinkerte mir fröhlich zu und rief an: »Ja? Ich bin’s, Fred – kein Beileidsgesülze! Ist ja ekelhaft. Ich will dir nur sagen, dass du in der Hölle schmoren sollst, Bestie! Ihr habt mir lange genug das Leben zur Hölle gemacht, meine Mutter, die Kannegießer und du! Fick dich, du alte Nazi-Fotze!«
    Aufgeregt und glücklich wie ein Schuljunge nach einem gelungenen Streich legte er auf, sah mich lobheischend an. Ich schüttelte wieder einmal den Kopf und kam mir ihm gegenüber so unendlich weise vor. »Hast du etwa vor, die nächsten Tage damit zu verbringen? Mit der Beschimpfung aller Menschen, die dich früher gepeinigt haben?«
    Immer noch dieses selige Lächeln. »Glaub mir das: Meine Tante ist eine Sau. Ihr Mann war ein hohes Nazi-Tier in Offenbach. In ihrem Bücherschrank steht nur zwischen 1933 und 1945 gedruckter Dreck. Den Rest meiner Verwandtschaft werde ich auf der Beerdigung zur Schnecke machen. Ach, ist das herrlich!«
    Er stolzierte durch sein Reich, forderte mich auf es ihm gleichzutun, ermunterte mich ungehemmt in allen Schränken, Truhen und Kommoden zu stöbern, kramte schaudernd in der Unterwäsche seiner Mutter, warf mit BHs und Schlüpfern um sich, verspritzte

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