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Das Jahr der wundersamen Elvis-Vermehrung - Roman

Das Jahr der wundersamen Elvis-Vermehrung - Roman

Titel: Das Jahr der wundersamen Elvis-Vermehrung - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dittrich Verlag GmbH
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Kölnisch Wasser und Sagrotan, entdeckte eine uralte Packung mit Monatsbinden, die er lachend wie einen Fußball in die Vitrine mit den Nippes-Figuren trat. Der Klang des zerspringenden Glases und der zerbrechenden, auseinanderstiebenden Figuren schien ihn zu faszinieren.
    Noch sah ich keinen Grund einzuschreiten, da ich weder für den Nippes-Scheiß noch für die Vitrine Anteilnahme empfand. Mein Freund beruhigte sich dann ja auch bald und kochte erst mal Kaffee.
    Ich fühlte mich sauwohl. Es war eine Ewigkeit her, dass ich in einer bürgerlichen Wohnung so frei und unbeschwert hatte herumlaufen dürfen. Die elterliche Wohnung in Würzburg war immer mit einem Makel behaftet gewesen. Dem Ehepaar Lubkowitz, den tüchtigen Restaurantbetreibern, hatte die bürgerliche Bildung gefehlt und der damit verbundene bürgerliche Geschmack. Sie hatten in ihrer Wohnung diesen Geschmack imitiert, ungeschickt und völlig daneben. Doch es hatte darin zumindest so ähnlich gerochen wie in den authentischen Wohnungen der Bürger. Tief in meinem Inneren verbarg sich der Wunsch, das ahnte ich, in solch einer Wohnung mit einer Frau und Kindern zu leben, ein Bürger zu sein – einfach nur von den Nachbarn akzeptiert als einer von ihnen.
    Ich zog mit gemischten Gefühlen ins Zimmer der Verblichenen. Fred riss die Bezüge vom Bettzeug und legte mir frische hin.
King Creole
von Elvis Presley – die Stimme des Kings röhrte so laut und frei wie nie zuvor durch die Räume.
    Während ich, jetzt völlig entspannt und der Zukunft optimistisch zugewandt, in der Badewanne lag, ging Fred einkaufen, kam bald voll beladen wieder und mit der strahlenden Miene eines fündig gewordenen Goldsuchers bedeckte er den Küchentisch mit all den Dingen, die zuvor in dieser Wohnung, außerhalb von Freds Zimmer, geächtet gewesen waren: Jim Beam, Bacardi, Gordon’s Dry Gin, Schweppes Bitter Lemon, Coca-Cola, Tiefkühl-Pizza, Nuts und Bounty, Erdnussbutter, zwei T-Bone-Steaks, Ketchup, eine Dose Mais, Kartoffelchips – also lauter
ausländisches
Zeug.
    »Mein Mutter hasste ausländisches Zeug. Für die Ausgestaltung meines Zimmers, für die Rock’n’Roll-Platten und meine Rock’n’Roll-Kleidung hab ich kämpfen müssen wie ein Löwe, ja, ohne Scheiß, ich hab eigentlich jeden verdammten Tag einen zermürbenden Kleinkrieg mit meiner Mutter geführt, der Tag für Tag ein Stück von meiner Seele abgehobelt hat – und Tag für Tag so weitergegangen wäre, wenn du nicht aufgetaucht wärst, mein Retter.« Strahlend schaute er mich an, mich, den Messias, ausgerechnet mich.
    Später verdrückten wir die von mir, na ja, genießbar zubereiteten Steaks mit Mais und Ketchup, Chips und Toast, tranken Bourbon, erzählten uns Geschichten aus der Jugend, ganz entspannt, wie Tramps am Lagerfeuer, und ich spielte schon mit dem Gedanken, mir eine Arbeit zu suchen, wie zig Millionen andere, unspektakulär und ganz normal, stellte mir mehrmals vor, wie ich nach der Arbeit zu Hause mit Fred gemütlich Kaffee oder Whiskey schlürfte, nach dem Abendbrot vielleicht mit ihm Schach spielte, Platten hörte oder in die Glotze starrte. Die politischen Sendungen hätten mich interessiert. Es war für mich faszinierend, tagtäglich an zahllosen Kleinigkeiten erkennen zu können, wie sehr sich die Atmosphäre seit 1968 gewandelt hatte. In den letzten Jahren war vieles, das die 68 er gefordert hatten, nach und nach, wenn auch nicht baugleich, wenn auch zähflüssig und zum Teil verwässert, umgesetzt worden. Die Gesellschaft war zwar nicht besser, aber eindeutig freier geworden. Hoffnung versprühende Tendenz: Selbst traditionsbewusste Bauern, konservative Akademiker und üblicherweise zurückhaltende Frauen aus dem bürgerlichen Milieu beteiligten sich neuerdings, und zwar vehement, an Demonstrationen aller Art – gegen Kernkraft, für das Recht zur Abtreibung, gegen Aufrüstung, für Emanzipation und für die Legalisierung weicher Drogen.
    Unsere Gespräche über Politik bewegten sich überwiegend auf einem für mich äußerst traurigen, manchmal schmerzhaft niedrigen Niveau, da mein neuer Freund auf diesem Gebiet, krass gesagt, so bewandert war wie Ray Charles in der Malerei. Das nagte an mir, ich regte mich eines Abends darüber auf, das heißt, es quoll einfach aus mir heraus – zu meinem und Freds Erstaunen sogar lautstark, was wohl auch an der Alkoholmenge lag, aber nicht nur. Ich forderte ihn tatsächlich auf, sich in dieser Hinsicht verdammt noch mal schlau zu machen,

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