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Das Jahr der wundersamen Elvis-Vermehrung - Roman

Das Jahr der wundersamen Elvis-Vermehrung - Roman

Titel: Das Jahr der wundersamen Elvis-Vermehrung - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dittrich Verlag GmbH
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    Fred führte mich zu allen Orten, die mit Elvis in Verbindung standen, in Friedberg, Bad Nauheim und Frankfurt. Nichts wirklich Sehenswertes – die Kaserne, das Hotel, die Villa, zwei, drei Bars, ein Nachtclub mit Striptease-Programm –, aber es machte schon Spaß, einfach so in dem Buick herumzugondeln, so frei, dass mir schwindlig wurde.
    Abends zogen wir durch die Kneipen, durch die anständigen und die verruchten Kneipen. Oh ja, es gab in Friedbergs Altstadt Lokale, in denen dunkle Gestalten verkehrten.
Zum goldenen Engel
in der Engelsgasse beispielsweise. Treffpunkt der bösen Buben und der ungezogenen Mädchen. Am Tresen klebend und lautstark die einen – andere um Unauffälligkeit bemüht, beobachtend, an die Wand gelehnt und mit ihr scheinbar verschmelzend, mit dem einen oder anderen tuschelnd, Informationen austauschend, stets wachsam. An einem Tisch, in Herrscherpose, von einem Hofstaat umgeben, ein ehemaliger Boxer – ganz große Nummer, wie Fred flüsternd behauptete. Fred war an diesem ersten Abend im
Goldenen Engel
ein Nervenbündel. Kein Wunder: Er hatte vor, sich als Homosexueller zu bekennen, und obwohl man ihn in allen anrüchigen Lokalen der Stadt kannte und freundlich behandelte, wußte er natürlich nicht, wie die Leute darauf reagieren würden. Es gab zwei oder drei Tucken, klar, die gab es überall, die gar nicht anders konnten, als sich exaltiert und tuntig zu verhalten, doch über die lachte man – keineswegs verächtlich, eher gutmütig, dennoch mit einer gewissen Herablassung. Fred wollte auf keinen Fall zu denen gehören, über die man spottete.
    Er räusperte sich, sein Gesicht sah aus, als würde es von innen beleuchtet. Unsicher, ein wenig umständlich stellte er sich auf einen Stuhl und zog schon dadurch die Aufmerksamkeit auf sich. »Hört mal her, Leute!«, rief er, seine Stimme klang rauh, auf seiner Stirn bahnten sich Schweißrinnsale den Weg ins Dickicht der Augenbrauen, flossen von den Schläfen über die Wangen in den Hemdkragen. Er atmete heftig. »Ihr kennt mich ja seit vielen Jahren, zumindest viele von euch. Ich hab mich in eurer Gesellschaft immer wohlgefühlt, aber nie den Mut gehabt, mich zu bekennen! Jetzt hab ich das Versteckspielen satt! Deshalb teile ich euch heute mit, dass ich schwul bin! Jawohl, ich bin einer vom sogenannten anderen Ufer! So, jetzt wisst ihr’s!«
    Allgemeines Achselzucken, hier und da wissendes Grinsen. Kein Erstaunen. Kein Erschauern. Sah für mich so aus, als hätte es ohnehin jeder gewusst. Aber um so besser. Alle gingen wieder zur Tagesordnung über, redeten wie immer über ausgeführte oder geplante Gesetzesverstöße, über Weiber, Fußball, Geld und Autos, Mallorca, wieder über Geld und Weiber, einige regten sich wie üblich über die beschissenen Atomkraftgegner auf, die zu blöd seien, um zu erkennen, dass sie mit ihren Protesten nur den Russen in die Hände spielten. »Moskaus nützliche Idioten«, sagte einer, und den Wunsch, für diesen Spruch gelobt, wenn nicht gar gefeiert zu werden, konnte man in seinem Gesicht deutlich lesen. Zu meinem Bedauern bekam er dafür tatsächlich Applaus.
    Fred bahnte sich, mit glühendem Kopf, unsicher und nebenbei einige, die ihn wohlwollend tätschelten, dankbar angrinsend, einen Weg zu mir. »Und?«, fragte er aufgeregt, »Wie war ich?«
    Nun ja, er hatte ja nicht etwa gesungen oder ein Kaninchen aus einem Zylinder gezaubert, seiner 20 Sekunden langen Rede hatte es schon wegen der zeitlich enormen Begrenzung an Tiefe gefehlt, doch ich lobte ihn wegen des Mutes, den er aufgebracht hatte, um sich mit Todesverachtung auf einen der wackligen Stühle zu stellen.
    In diesen Kneipen ging es wirklich hoch her. Nicht nur an den Wochenenden, denn die Mehrzahl der Gäste bestand aus Leuten, die das Privileg hatten, morgens ausschlafen zu dürfen, aus Kellnern, Köchen, Schichtarbeitern, Bardamen, Nutten – selbst ein paar Studenten und bürgerliche Alkoholiker zählten zu den Stammgästen – und natürlich aus den Kriminellen, die sich wiederum in vier Kategorien aufteilen ließen: die Gelegenheitskriminellen, die primitiven Klauer und Räuber, die sich auch jederzeit anheuern ließen, die subtilen, Gewalt möglichst vermeidenden Ganoven mit dem Habitus von Geschäftsleuten, und schließlich die harten Hunde, entweder Alpha-Tiere oder hautnah mit denen verbunden, dornige Gewächse, schon immer gewesen, mit kühl musternden Augen, misstrauisch von Anfang an, gewohnheitsmäßig skrupellos. Es gab

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