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Das Jahr der wundersamen Elvis-Vermehrung - Roman

Das Jahr der wundersamen Elvis-Vermehrung - Roman

Titel: Das Jahr der wundersamen Elvis-Vermehrung - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dittrich Verlag GmbH
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natürlich keine Werbung, aber jeder in diesen Kreisen weiß es.« Freds Schlitzaugen und das vorgeschobene Kinn sollten wohl Abgebrühtheit signalisieren. Es sah aber eher komisch aus, was ich klugerweise nicht erwähnte.
    »Vergiss es. Nicht mein Fach. Wenn schon kriminell, dann als Autoklauer. Ich muss mich noch schlau machen – wegen der neuen Modelle und der ganzen neumodischen Sicherheitsvorrichtungen.«
    »Und was schlägst du nun vor? Ich meine, wie soll’s nun weitergehn?«
    Genau diese Fragen gefielen mir nicht. Ich sollte der Leitwolf sein. Ausgerechnet ich.
    Streit auf dem Hansa-Platz. Hörte sich nach einer Schlägerei an. Ich hasste Schlägereien und warf nicht einmal einen Blick aus dem Fenster. Mit dem Daumen drückte ich die Kippe aus und verbrannte mir dabei die Fingerkuppe. An manchen Tagen geht einfach alles schief. Nachdenklich sagte ich: »Vielleicht sollten wir wirklich wieder nach Friedberg fahren. Nicht wegen der Waffen. Aber wenn du dort tatsächlich Gott und die Welt kennst, stoßen wir eventuell auf einen Burschen, der uns weiterhelfen kann. Scheiß auf Hamburg.«
    Gewichtiges Kopfnicken. Mein Freund freute sich, dass er von mir, dem Bankräuber, ernstgenommen wurde. »Komm, wir gehen saufen«, schlug er unternehmungslustig vor.
    Schon weil ich Entgegenkommen zeigen wollte, landeten wir später ein paar Straßen weiter in einer Schwulenkneipe, die sich im Souterrain befand. Nichts mit Plüsch und Spitzendeckchen und gedämpftem Licht. Stühle, Bänke und Tische aus grobem Holz, kernige Stimmung. Stricher jeden Alters, die einen völlig abgerissen, andere grell aufgeputzt, besoffene Freier aus allen Gesellschaftsschichten, exaltierte Tunten, Muskelmänner in Leder, Musik von Adamo und Roy Black, von Zarah Leander und – ja, verdammt noch mal – Lolita. Es war laut und unruhig in dem Laden, ein ständiges Kommen und Gehen, Streit, Gelächter, Zoten, Gefummel und Geknutsche. Fred tauchte sofort wohlig hinein in den Sündenpfuhl, wirkte aufgekratzt wie ein Kind, das zum ersten Mal im Zirkus ist. Sein Outfit fiel hier nicht weiter auf, denn es gab einige, die auf Marlon Brando machten. Er flirtete hier, er flirtete da, hatte einen Ständer, den ihm endlich ein zartes, blasses Kerlchen auf der Toilette lutschte – zwar gegen Geld, also knallhart und nix mit Liebe, aber scheiß auf die Kohle.
    Ich hatte gleich jedem klargemacht, dass ich Freds heterosexueller Kumpel sei, der sich nur besaufen wolle. Eine Hetero-Frau in meinen Armen hätte den Abend abgerundet, doch auch so genoss ich die schäumende Lebensgier um mich herum, all die extremen Gestalten, die Unruhe, den krassen Gegensatz zum Leben hinter Gittern. Allmählich fühlte ich mich sicherer – was mich wunderte, da ich doch vor dem Nichts stand und vermutlich, falls mir nichts besseres einfallen sollte, demnächst wieder ein Ding drehen würde. Damit wäre ich dann wieder einer von den Kriminellen, würde mir zwangsläufig und automatisch wieder angewöhnen, ständig und überall Bullen zu vermuten, stets mit Observierung zu rechnen, hätte wieder Kontakt zu anderen Kriminellen, von denen erfahrungsgemäß die meisten echte Drecksäcke sind. Ein Leben in der Schwebe, ohne festen Halt, mit mieser Zukunftsperspektive. Üblicherweise ist es doch so, überlegte ich, man schlägt sich zwei, drei Jahre durch, mal selbstgewiss, meist jedoch paranoid – dann legt sich einem eine Hand auf die Schulter. ›Herr Lubkowitz? Sie sind verhaftet!‹ Oft ist es nur ein dummer Zufall, manchmal hat die Schmiere längst die Spur aufgenommen und das Fangnetz bereits in der Hand, und man selbst weiß nichts davon, rechnet zwar in den hin und wieder auftauchenden Momenten der Paranoia mit allem, hofft jedoch stets, schon um überhaupt weitermachen zu können, mittlerweile ein cleverer und außerdem vom Glück geküsster Bursche zu sein. Tatsächlich schaffen es nur die abgewichsten, die knallharten, kühlen Gangster, längere Zeit in Freiheit die Sau rauslassen zu können, mit den Taschen voller Kohle, mit fetten Wagen, öfter mal übers Wochenende nach Mallorca, immer Party, Weiber … Ach, was soll’s.
    Sich dann wieder umzustellen, ist für Chamäleons wie Ignatz Moser ein Kinderspiel, aber für Typen wie mich eine schmerzhafte Prozedur. Gleich nach der Ankunft im Knast muss man das andere Leben aus seinen Gedanken verdrängen und sich voll auf die Welt und die Regeln hinter Mauern und Gittern einstellen. Irgendwann unterscheidet man sich von Ignatz

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