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Das Jahr der wundersamen Elvis-Vermehrung - Roman

Das Jahr der wundersamen Elvis-Vermehrung - Roman

Titel: Das Jahr der wundersamen Elvis-Vermehrung - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dittrich Verlag GmbH
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noch diverse Zwischenstufen. Ich kannte jeden Typus und fragte mich, ob ich bereits wieder zu dieser Unterwelt-Gesellschaft zählte, wenn auch vorerst nur am Rand, ob ich möglicherweise, meinen im Knast gebetsmühlenartig abgeleierten Vorsätzen zum Trotz, ein Berufsverbrecher war, auf einem Weg, der keine Umkehr erlaubte. No U-TURN ! Obwohl ich niemandem etwas Böses wollte. Meine psychische Verfassung war das Ergebnis meiner Erfahrungen, die Oberfläche meiner Seele bestand aus Narben und nicht verheilten Wunden. Das entschuldigte nichts, ganz klar, aber es erklärte einiges.
    Mehrere Frauen ohne männliche Begleitung behaupteten sich souverän, schienen schon viele Abende hier verbracht zu haben. So sehr ich mich auch nach einer Nummer sehnte, ich hielt mich zurück. Sieben Jahre war mein Schwanz nur mit mir zusammengewesen. Ich fürchtete, in sexueller Hinsicht unbeholfen geworden zu sein. Meine Hände würden womöglich verschwitzt und fahrig über einen nackten Frauenkörper streichen, trockene Mundhöhle und eine Lederzunge beim Küssen, kaum mit meinem Schwanz in einer der weiblichen Öffnungen angelangt, würde es mir schon kommen, ein paar ungeduldige Stöße – und voilà. Unterm Strich hatte ich bisher um die zehn Jahre Knast abgesessen, und manchmal glaubte ich, stigmatisiert zu sein, als hätten sich die Schatten der Gitterstäbe in meine Stirn eingebrannt. In diesen Momenten bildete ich mir ein, jeder einigermaßen aufgeweckte Mensch könne mir ansehen, könne an meiner Ausdünstung feststellen, wo ich gewesen war, sei in der Lage aus meinen Worten herauszuhören, in welchem abgeschlossenen System ich fast ein Drittel meines Lebens verbracht hatte.
    In diesen Kneipen galt das nicht als Makel. Friedberg / Hessen, Kleinstadt, ganz erstaunlich, aber dennoch nicht verwunderlich, wegen der vielen Amis, der Nähe zu Frankfurt und außerdem zu Butzbach mit seinem Gefängnis, das eine hohe Zahl an sogenannten Schwerverbrechern beherbergte und verwahrte. Kein Wunder, dass ich in diesen Kneipen jede Menge Knastologen traf. Keinen, dem ich vorher schon begegnet war, aber wir konnten es voreinander nicht verbergen – und wollten es auch nicht, mal abgesehen davon, dass Fred sowieso allen erzählte, wie schlimm ich sei. Einerseits fand ich’s bescheuert, dass er mich wie ein Jäger, der mit seiner Trophäe, einem Zwölfender-Geweih, auf die Kacke haut, präsentierte und als »Bankräuber, sieben Jahre, davon vier in Butzbach« vorstellte, andererseits steckte in dieser Prahlerei natürlich eine Empfehlung, sozusagen die Eintrittskarte zum Klub der bösen Buben. Ich spielte also mit, das alte Spiel, befand mich mit einem Mal wieder in schlechter Gesellschaft, stieg wie gehabt in die Rolle des Lässigen, Abgewichsten, spulte Knastanekdoten ab, hörte mir, Interesse vortäuschend, dreckige Knast-Anekdoten an, wir hoben alle unsere Gläser und stießen auf den liberalen Strafvollzug in den Knästen der Bundesrepublik an.
    Verständlicherweise waren viele der Gäste noch immer traurig wegen Elvis Presleys Abflug in die ewigen Jagdgründe. Na ja, der eine oder andere – wir befanden uns immerhin unter Leuten, deren Religion der Mammon war – ließ bereits durchblicken, man könne auch in der Wetterau mit dem King noch immer die fette Kohle machen, indem man zum Beispiel Wallfahrten nach Friedberg und Bad Nauheim organisiere. »Die Elvis-Villa in der Bad Nauheimer Goethestraße«, röchelte einer, der schon die Banknotenstapel vor sich zu sehen schien, »die muss man kaufen.«
    »Eine Sekte gründen, die Villa zum Tempel erklären«, schlug ein edel gekleideter Grauhaariger vor. »Sekten aller Art schießen ja in den letzten Jahren wie Pilze aus dem Boden. Die meisten von cleveren Gauklern gegründet. In dieser Zeit der allgemeinen Verunsicherung suchen viele vom Christentum enttäuschte Menschen nach einem Führer, der ihnen Erlösung verspricht. Ist so. Eine Sekte zu beherrschen, bringt mehr Kohle als zehn Spielhallen zusammen.« Er grinste versonnen. Aber ihm, dem Besitzer mehrerer Spielhallen, ging es auch nicht gerade schlecht, wie mir Fred mit Insidermiene erklärte. Man könne dem Finanzamt säckeweise Münzen verschweigen, es gebe keine Möglichkeit, die wahren Einnahmen zu ermitteln.
    Das wusste ich natürlich. Eine Daddelhalle an der richtigen Stelle, davon träumten viele – ich auch, aber erst mal wurde die Sektengründung weiter erörtert. Bis man zu den Details wie Satzung, Zeremonien und

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