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Das Jahr der wundersamen Elvis-Vermehrung - Roman

Das Jahr der wundersamen Elvis-Vermehrung - Roman

Titel: Das Jahr der wundersamen Elvis-Vermehrung - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dittrich Verlag GmbH
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von einem grau-blauen, kalten Ton bestimmt. Seit Tagen fehlte es mir, von einer Möse abgesehen, an nichts. Guter Whiskey, guter Gin, Tiefkühl-Pizza von Dr. Oetker, Lucky Strike, kaltes Bier in heißen Kneipen, die Stereo-Anlage und die darauf abgespielten Platten nicht zu vergessen, spät ins Bett, den Vormittag bedenkenlos verschlafen – fast paradiesisch. Eine Arbeitsstelle wäre dagegen eine weitere Bestrafung. Acht oder gar, für Köche nicht ungewöhnlich, zehn Stunden täglich, Stress, miese Bezahlung zumindest in der Liga, in der ich kochte. Bei dieser Vorstellung wurde der Gedankenfilm sofort schwarzweiß, düster, wie in den englischen, im Arbeitermilieu spielenden Filmen der 40er, 50er Jahre – verrußte Fabrikhallen tauchten drohend auf, graue Arbeiterviertel, Hundescheiße, Müll in den Gossen, Nieselregen, in den Treppenhäusern Kohlgeruch.
    Zögernd nahm ich eine der Pistolen in die Hand, spürte gleich die Kraft und die Macht, die nun in meiner Hand lag, und fing schon an, damit zu spielen, wie abgebrühte Typen und solche, die es gern wären: Magazin rausrutschen lassen, Schlitten zurückziehen, Magazin mit Patronen füllen, wieder in den Schacht schieben, durchladen, Magazin wieder rausziehen, im Lauf steckende Patrone durch Zurückziehen des Schlittens wieder auswerfen, Abzug durchdrücken – klick. Es schien mir, als wäre die Waffe durch dieses Ritual zu einem Teil von mir geworden. Ach was, schwülstiges, längst abgedroschenes Klischee. Aber das mit dem Werkzeug stimmte. Damit lag Fred richtig. Ich wusste, ohne zu ihm hinzusehen, dass er mich bewundernd beobachtete, und in meiner Eitelkeit gab ich mich versierter als ich wirklich war. Ja, gut, ich hatte damals eine Waffe mit mir rumgetragen, eine ähnliche wie diese, hatte auch damit geschossen, im Frankfurter Stadtwald, auf unschuldige und vor allem unbewegliche Bäume, hatte ein ganzes Magazin verballert und dann noch genau drei Patronen übrig gehabt. Das war zwei Tage vor dem Bankraub gewesen, bei dem übrigens kein Schuss gefallen war. So viel zu meiner Erfahrung mit Schusswaffen.
    Nun ging ich mit Fred die ganzen Handgriffe noch einmal durch. War ja nicht sehr kompliziert. Ich hatte genügend Schwachköpfe kennengelernt, die mit einer Pistole herumgelaufen waren.
    Wir grinsten uns an, zwei harte Burschen, Zigarette im Mundwinkel, Whiskeyglas in der Hand,
I Shot The Sheriff
von Eric Clapton lief, die Luft schien mit krimineller Energie geladen zu sein. An diesem Abend war die Fink’sche Wohnung ein Adlerhorst. Zwei Raubvögel planten ihren ersten Coup.
    Endlich entluden sich die Wolken. Als hätten wir ihn bestellt, sorgte der Regen für menschenleere Straßen. Es war weit nach Mitternacht, kaum noch Autos unterwegs, und ihre Fahrer waren zu sehr damit beschäftigt, zwischen den hin- und herstreichenden Scheibenwischern auf die Fahrbahn zu starren, um ihre Aufmerksamkeit den beiden Männern in einer Bad Nauheimer Seitenstraße widmen zu können, von denen einer, nämlich ich, fluchend versuchte, einen dünnen Metallstreifen zwischen die Scheibe und die Gummidichtung eines Opels zu schieben.
    »Mann, das dauert ja. Ich dachte, du seist ein Profi«, nörgelte Fred, dem das Wasser vom hochgeschlagenen Kragen der Lederjacke in den Nacken floss.
    »Lieber sind mir Autos, die nicht abgeschlossen sind.«
    Bitteres Lachen. »Das glaub ich dir. Der Zündschlüssel sollte möglichst auch noch stecken.«
    »Mann, nerv mich nicht. In sieben Jahren kommt man nun mal aus der Übung.«
    Ohne nachzudenken steckte sich Fred eine Zigarette in den Mund. Die wurde natürlich umgehend nass. Ich verbarg meine Schadenfreude.
    Na, also, das Metall ließ sich ins Innere der Tür schieben. Ein Hochgefühl. Wie beim ersten Mal. Wie damals in Kitzingen mit dem Ami, der mir das beigebracht hatte. Der Rest war ein Kinderspiel für einen, der das hundertmal gemacht hatte, nämlich mit dem Metallstreifen die Verriegelungsmechanik zu finden und runterzudrücken. Triumphierend setzte ich mich ans Steuer, Fred ließ sich fluchend neben mir nieder. Seine Tolle war zerstört und klebte auf seiner Stirn. Ich bückte mich zu den Kabeln, kurz darauf sprang der Motor an. Cool verkniff ich mir jede von Triumph oder gar Häme zeugende Äußerung, gab mich ganz entspannt, ganz abgebrüht.
    Jetzt Licht an, ausparken, weg vom Tatort, und zwar diszipliniert im Einklang mit den Regeln der Straßenverkehrsordnung.
    Am Stadtrand wartete der Buick im Schatten einer Lagerhalle auf uns.

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