Das Jahr der wundersamen Elvis-Vermehrung - Roman
Vorstandswahl kam, alles im Moment zu kompliziert fand und sich dem Thema Terrorismus widmete, was jeden Anwesenden, mich eingeschlossen, wahnsinnig aufregte, verständlicherweise. Die Scheiß-Rote-Armee-Fraktion, die durchgeknallten Wichser, die sinnlosen Attentate in letzter Zeit auf Siegfried Buback und Jürgen Ponto! Deswegen war die Polizei im ganzen Land so präsent und rührig wie noch nie zuvor seit 1945. Ständig musste man damit rechnen, in eine Fahrzeug- und Personenkontrolle zu geraten. Der einzige Effekt des Terrorismus, rief ich in die Runde, sei die vermehrte Festnahme polizeilich gesuchter Leute. Die RAF sei somit vor allem
unser
Feind! Der Applaus gefiel mir, und fast hätte ich mich davon zu einer flammenden Rede hinreißen lassen, konnte mich aber rechtzeitig bremsen – schon weil nicht abzusehen war, wohin mein Geschwafel führen würde, denn ich hatte ja gar nicht gewusst, was ich hätte sagen sollen. Vielleicht wäre ich schon nach den ersten zwei Sätzen vom Thema abgekommen, um die aktuelle Situation der Autoknacker zu erörtern, und kurz darauf hätte ich, betrunken wie ich war, übers Ficken geredet.
In einer anderen Altstadt-Kaschemme, in der Augustinergasse, der
Luna Bar
, gleich um die Ecke, gab’s keine Musikbox, da lief Musik vom Tonband. Nur vom Feinsten. Viele Songs, die ich im Knast über die altmodischen Kopfhörer kennengelernt hatte. Ich fragte mich, wer die Bänder aufgenommen hatte. Doch nicht etwa die üppige wasserstoffblonde Bardame, die zwar freundlich war, deren volle Lippen, erdbeerrot bemalt, mich unterdrückt stöhnen ließen, die jedoch freimütig bekannte, außer der in Friedberg und Bad Nauheim obligatorischen Vorliebe für Elvis-Songs keine weitere Sympathie für ausländische Musik zu hegen. Sie schmelze bei Udo-Jürgens-Liedern dahin, gab sie bedenkenlos zu. Damit war sie bei mir – in dem seit Jahren, sobald die Fetzen eines Udo-Jürgens-Schlagers meine Gehörgänge erreichten, Hassgefühle, Resignation, ja Weltuntergangsstimmung und Gewaltphantasien aufstiegen, als gäbe es in meinem Inneren ein verstopftes Abflusssystem – unten durch.
Eagles, Eric Clapton, Bad Company, Tina Turner, Mother’s Finest, Mink De Ville, John Lennon und Frankie Miller – nein, diese Bänder musste ein Durchblicker aufgenommen haben. Der Wirt war es garantiert nicht. Der sah aus wie King Kong und vermochte, wie ich – überheblich, ich weiß – vermutete, eine Langspielplatte nicht von einem Klodeckel zu unterscheiden. Es gab guten Bourbon,
Wild Turkey
, der allerdings 50% Alkohol in sich hatte, was uns aber im Moment nicht weiter beunruhigte, da wir ohnehin auf Sauftour waren.
Und dann tauchte Horsti auf, ein schmieriger älterer Typ, schmal und klein, mit Menjou-Bärtchen, cremefarbenem Seidenjackett, schwarzer Hose mit messerscharfen Bügelfalten und Lackschuhen. Der Schlafzimmerblick und die formvollendete Höflichkeit faszinierten mich. Ich beobachtete ihn aus der Insektenforscherperspektive und war überzeugt, ein gefährliches Exemplar vor mir zu haben. Er sei absolut korrekt, raunte mein Freund mir zu. »Der Typ ist eiskalt«, raunte ich zurück und schenkte Freds geheimnisvollem Grinsen dummerweise keine Beachtung.
Konspirativ steckten Horsti und Fred die Köpfe zusammen, unterhielten sich murmelnd, mit ernsthaften Mienen, und bald darauf war der schmierige Horsti verschwunden. Fred wirkte unruhig, rauchte hastig, sah mehmals auf seine Armbanduhr, als hätte er eine Verabredung, dann entschuldigte er sich bei mir. Er müsse kurz mal in die Wohnung, sei jedoch in nicht mal einer halben Stunde wieder hier. »Okay«, sagte ich achselzuckend, »wirst schon deine Gründe haben.« Ich hatte ja von seinem irren Vorhaben keinen Schimmer. Als er wiederkam, hing erneut das mysteriöse Grinsen in seinem Gesicht. Er hatte so einen rauhen Ton drauf, der Abgebrühtheit suggerieren sollte. Ich kannte das schon und stellte mich auf eine unangenehme Überraschung ein. Sein kryptisches Geraune auf meine Fragen stieß mir sauer auf. Der Spinner, dachte ich, was hat er denn jetzt wieder angestellt?
Später, auf dem Heimweg – mittlerweile ging mir die Geheimnistuerei gehörig auf den Sack – platzte er damit heraus, von Horsti für 1 600 Mark zwei Pistolen der Marke Beretta gekauft zu haben, Modell 70, Kaliber 7,65, relativ kleine Waffen, die sich gut verbergen ließen. Beifallheischend blickte er mich an. Ich zog es vor, erst mal zu schweigen. Mir blieb auch keine andere Wahl, da
Weitere Kostenlose Bücher