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Das Jahr der wundersamen Elvis-Vermehrung - Roman

Das Jahr der wundersamen Elvis-Vermehrung - Roman

Titel: Das Jahr der wundersamen Elvis-Vermehrung - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dittrich Verlag GmbH
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Frau Schmehle, ihrem skeptischen Blick nach zu urteilen, nicht gerade auf Begeisterung stieß.
    Zur Mittagszeit, nachdem die Chefin und Doris Hirsekorn das Essen und die Getränke auf die Tische gestellt hatten, warf ich einen Blick in den Speisesaal. Altersheim-Feeling. Alte Leute, denen man ansah, dass ihr Lebensweg eine verdammt steinige Strecke gewesen war. Die Frauen trugen merkwürdige Frisuren und hässliche Handtaschen, die Männer wirkten grau und gebrochen. Feindselige Atmosphäre. Wie eine Dompteuse bewegte sich Frau Schmehle zwischen den Tischen, blaffte hier und da nörgelnde Gäste an, einmal wäre es fast zu Handgreiflichkeiten gekommen. Mich überlief ein Schauer.
    Immerhin war Doris Hirsekorn ein erfreulicher Anblick. Sie schien ein paar Jahre älter als ich zu sein, die ersten Anzeichen des Verblühens hatten sich bereits in ihre Augenwinkel gegraben. Hübsches Gesicht. Sie war klein, stämmig, aber nicht etwa dick. Große Brüste. Und in ihrer Jeans steckte vermutlich die Art von Gesäß, deren Anblick mich schwindlig machen würde. Ihre Arbeit bewältigte sie souverän, verhielt sich den dankbaren Gästen gegenüber nicht nur freundlich, sondern auch verständnisvoll. Manchmal, wenn Schmehles mich wieder einmal wegen »Verschwendung« rügten, zwinkerte sie mir, dem neuen, leicht irritierten Kollegen, verstohlen zu.
    Nachmittags hatte ich zwei Stunden Pause. Dann spazierte ich durch den Kurort, den Kurpark, trank irgendwo Kaffee, schaute den Mädchen nach und erinnerte mich wehmütig an lang zurückliegende Bettgeschichten. Ausgerechnet Geli war die Letzte gewesen, mit der ich Sex gehabt hatte – ziemlich guten Sex. Ich dachte an das Muttermal unter ihren Schamhaaren. Doch in die Erinnerung an Geli drängte sich stets die Furcht, ich könne wieder ins Fadenkreuz der Polizei geraten. Schon wegen Fred, den ich mir mühelos vorstellen konnte, wie er stockbesoffen am Tresen, nach Anerkennung lechzend, von seinen Heldentaten prahlte. Alles in allem fühlte ich mich nicht sehr wohl. Aber das war ich gewohnt.
    Das Abendessen bestand normalerweise aus minderwertigem Wurst- und Käseaufschnitt, suspektem Fleischsalat, Mixed Pickles und Brot. Wieder einmal schwappte der Zorn des Chefs über mich, als ich mit der Maschine die Wurst in Scheiben schnitt. »Ja, sind Sie denn des Wahnsinns, Herr Lubkowitz? Sie können doch die Wurst nicht so dick aufschneiden! Das muss Ihnen doch der gesunde Menschenverstand sagen, dass man auf diese Weise auf keinen grünen Zweig kommt! Also bitte, ja! Ich kann Ihnen doch nicht dauernd auf die Finger schauen, Sie ungeschickter Mensch!«
    Auf dem graubraunen Bett in dem graubraunen Zimmer. Eine Woche zuvor hatte mein Vorgänger hier noch gelegen, bis in ihm die Wut explodiert war und er die Schmehles, wie ich von Doris erfuhr, mit Wurst- und Käsescheiben, Fleischsalat und Gulasch bombardiert hatte. Trauriger drittklassiger Koch, trauriges Leben. Mir war, als hätte sich der Geruch von allen, die in diesem Zimmer geraucht, gesoffen und trüb vor sich hingestarrt hatten, abgelagert, eine Patina, ein langsam wirkendes, Körper und Seele zersetzendes Gift.
    Ich rauchte Lucky Strike ohne Filter, trank Jim Beam aus dem Zahnputzglas, starrte ins trübe Deckenlicht und wünschte mir ein vollgetanktes Auto mit Kassettenrekorder und einem Stapel geiler Kassetten. Dann gäbe es kein Halten mehr, dann würde ich, prall gefüllt mit Lebenslust, den Mittelstreifen folgen, in die Nacht hinein, um diesem, ja, wie soll ich sagen,
Heartbreak Hotel
stilvoll zu entfliehen, auf der Autobahn nach Norden, Süden oder Westen, scheißegal, nur weit, weit weg. Zwar hatte ich kein gebrochenes Herz, aber die Musik und einige Zeilen dieses Songs trafen meine Stimmung verdammt gut: »I’m feelin’ so lonely, baby – I’m feelin’ so lonely, baby – I’m feelin’ so lonely – I could die …!« Die Musikbox in meinem Kopf.
    Mit einem Mal schwebte reale Musik schwerelos aus dem Nebenzimmer zu mir herüber. Hippie-Musik.
Johnny’s Garden
von Stephen Stills. Klang melancholisch, aber auch verdammt hoffnungsvoll. Womöglich war Doris Hirsekorn mit Hoffnung prall gefüllt. Eher wohl doch nicht. Wieso auch? Sie war Mitte oder gar Ende 30, wohnte in diesem Loch, und vermutlich hatte ihr schon mal irgendein Drecksack das Herz gebrochen.
    Ich überlegte, ob ich einfach an die Tür des Nachbarzimmers klopfen sollte. Was machte sie gerade? Ich dachte mir, sexuell sowieso überreizt, feuchte Sachen aus, sah

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