Das Jahr der wundersamen Elvis-Vermehrung - Roman
geklauten Wagen saßen, dessen Nummernschild inzwischen vermutlich jeder Bulle auf der Liste hatte. Aber schon waren wir wieder auf der Landstraße. Rechts breitete sich Wiesengelände aus, durch das sich das Flüsschen Usa schlängelte, links erstreckte sich Wald, gleich musste der Waldweg kommen.
Plötzlich Vollbremsung, quietschende Reifen, ich wurde nach vorn gerissen, konnte mich gerade noch abstützen, wusste gar nicht, was los war, der Wagen schlingerte nach rechts, rutschte in den Graben, dann verstummte der Motor. Stillstand und Stille.
»Bist du besoffen?«, schrie ich verwirrt.
»Der Igel«, sagte Fred kleinlaut. »Ein Igel auf der Fahrbahn. Ich dachte, die laufen nur nachts herum.«
»Los, raus hier!«, schrie ich, während sich die Panik in mir blähte wie ein Hefeteig. »Wir müssen die Karre in Brand setzen! Überall sind unsere Fingerabdrücke!«
Im Kofferraum fanden wir einen halbvollen Benzinkanister. Auch das noch, na klasse: Ein Sportwagen näherte sich rasant – und stoppte scharf auf unserer Höhe.
»Brauchen Sie Hilfe?« Der Mann im offenen Alfa Romeo Spider beugte sich in unsere Richtung.
»Verpiss dich!«, brüllte ich verzweifelt.
»Wie bitte? Wie war das? Sind Sie noch ganz dicht? Ich wollte Ihnen …«
Fred war noch härter: »Willst du was auf die Fresse? Du hast den Igel überfahren, du Drecksack!«
Der Alfa Romeo verpisste sich mit durchdrehenden Rädern, eine Abgaswolke, den plattgefahrenen Igel und den Geruch von verbranntem Gummi hinterlassend.
Wir kippten das Benzin ins Wageninnere, ich knüllte die Zeitung, die ich im Kofferraum gefunden hatte, zusammen, zündete sie an und warf sie durchs Fenster. Paff! Eine Explosion. Die heiße, fauchende Druckwelle riss uns beide von den Füßen.
Während wir uns auf der Waldseite davonmachten, knallte es hinter uns fürchterlich, doch wir blickten nicht zurück, sondern rannten, vom Entsetzen vorwärtsgepeitscht, so schnell wie schon seit Jahren nicht mehr.
Der Waldweg. Wir bogen hinein und fühlten uns gleich ein wenig sicherer. Aber ich fühlte noch was ganz anderes in mir: ein Gemisch aus Wut, Enttäuschung und Ratlosigkeit. Am liebsten hätte ich Fred jetzt nach Strich und Faden zur Sau gemacht, doch das ging leider nicht, da ich zu sehr mit Luftholen beschäftigt war. Keine Kondition – zwar eine bessere als die von Fred, aber das war nun wirklich keine Kunst.
Diesmal schonte Fred seinen Oldtimer während des Rückwärtsfahrens weitaus weniger. Die Angst. Ich war immerhin froh, dass er das Vertrackte an unserer Situation begriffen hatte. Was mich betraf – ich hatte auch was begriffen, sozusagen schlagartig: Dass ich von nun an wieder wie früher von morgens bis abends damit rechnen musste, dass mir aus heiterem Himmel ein Typ mit einem Dutzendgesicht eine Bullenmarke vor die Nase halten und den Spruch ›Herr Lubkowitz? Sie sind verhaftet‹ aufsagen würde.
Auf der Landstraße angekommen, sahen wir von weitem die Rauchsäule, die Feuerwehrwagen, die Polizei – und nahmen den entgegengesetzten Weg.
»Kaffee oder Bourbon?«, fragte Fred, als wir die Wohnungstür hinter uns schlossen.
»Bourbon.«
Wir ließen die Gläser gegeneinander klirren, tranken mit Genuss, rauchten dazu, dann teilte ich die Beute und reichte meinem Komplizen die 300 Mark. »Hier, Alter, dein Anteil. Ich werde mir morgen einen Job suchen und mich von dir trennen. In Freundschaft, hoffe ich.«
Die Veränderung in Freds Mienenspiel hätte mich fast umgestimmt. Erstaunen und Angst, Entsetzen und Traurigkeit. »Wieso das denn?«, stammelte er. »Ist doch alles gut gelaufen. Ein geiles Abenteuer. An diesen Tag werde ich noch in hundert Jahren denken.«
»Ich vermutlich auch.«
»Das mit dem Igel fand ich grauenhaft. Davon werde ich wahrscheinlich träumen. Weißt du, ich hätte zuerst den Igel in Sicherheit bringen müssen. Dieser beschissene Alfa-Romeo-Fahrer. Die sind alle gleich, diese Alfa-Romeo-Fahrer. Rücksichtslos und selbstverliebt. Aber ich sag dir was, Hansi-Baby, morgen wirst du die Welt wieder ganz anders sehen. Wir werden Supermärkte ausrauben. Da gibt’s kein Panzerglas.«
Unter anderen Umständen hätte ich jetzt mild gelächelt.
H EARTBREAK H OTEL
»Mein Gott, Buddy, Bad Nauheim ist doch nur drei Kilometer entfernt«, stöhnte Fred, der Verzweiflung nahe. »Wenn du dort unbedingt arbeiten willst, kannst du doch trotzdem hier wohnen. Du steigst in den Zug und bist in fünf Minuten dort. Wo ist das Problem?«
Mit traurigem
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