Das Jahr der wundersamen Elvis-Vermehrung - Roman
irritierte, war das Glitzern in seinen Augen, das auf eine milde Form von Wahnsinn schließen ließ. Aber scheißegal. Es gab kein Zurück. Ich richtete die Pistole auf ihn, meine Geisel.
Hinter dem Schalter thronte krötenhaft ein dicker Mann in meinem Alter mit Hornbrille und verächtlichem Grinsen. »Wir haben Panzerglas, Sie Anfänger. Ich werde jetzt vor Ihren Augen in aller Ruhe mein Frühstück auspacken und verzehren. Den Alarmknopf habe ich bereits gedrückt.«
Verfluchter Drecksack, total abgewichst, dachte ich entsetzt – und brüllte: »Ich weiß, dass ihr Panzerglas habt! Wenn du Wichser nicht innerhalb von fünf Sekunden anfängst, die Tüte mit Scheinen zu füllen, ist dein Kunde ein toter Mann, und an den Tapeten klebt massenhaft Blut!«
Der Hüter des Geldes blieb ungerührt, öffnete die Aluminiumdose mit den belegten Broten, biss in ein Käsebrot und nuschelte: »Das ist kein Kunde, sondern der Kommunist Hermann Bebbel, der seit Jahren fast täglich hier reinkommt, um ungefähr zwanzig Minuten lang gegen den Kapitalismus und die Herrschaft der Banken zu wettern. Die größte Nervensäge der ganzen Wetterau. Wär mir recht, wenn der endlich ins Gras beißen würde. Ich hätt ihn längst selbst umgebracht, aber das wird ja hart bestraft, und außerdem ist er der Bruder einer wichtigen Persönlichkeit des Ortes und hat deshalb quasi Narrenfreiheit.«
Hermann Bebbel stellte sich in Positur, reckte die Brust vor. »Schieß nur, mein Junge. Ich bin auf deiner Seite. Es ist mir eine Ehre, im Kampf gegen den Kapitalismus zu sterben.
Bankfilialleiter lässt ungerührt Geisel sterben
. Diese Schlagzeile würde mir gefallen. Mein Bruder, der Arbeiterverräter, würde es nicht so gut finden, vermute ich.« Trockenes Kichern, verschmitztes Grinsen. In meinem Magen rumorte es, und ich fragte mich, warum Fred ausgerechnet dieses Kaff ausgewählt hatte. Gleich die ersten beiden Personen, die ich hier getroffen hatte, waren verrückt.
Ungehalten – weil er diese Schlagzeile denn doch vermeiden wollte? – schob mir der Kassierer ein paar Scheine rüber. »Das sind 600 Mark, Sie Micky Maus. Zum Tresor kann ich jetzt sowieso nicht. Zeitschloss.«
»Schieß, Junge«, drängte die Geisel fast flehend. »Nimm das Geld, aber drück trotzdem ab. Ich will, dass diese Bankfiliale geschlossen wird.«
Ich fühlte mich der Situation nicht gewachsen. Mit ungläubigem Staunen glotzte ich auf den Dicken hinterm Panzerglas, der seine Zähne erneut in das Käsebrot schlug, dann auf Hermann Bebbel, der gerade dabei war, seine Brust freizulegen, indem er das Hemd aufriss, wobei die Knöpfe, Geschossen gleich, durch den Raum flogen. Flucht! Die innere Stimme klang schrill. Ich grabschte das Geld und die Tüte, taumelte, von wüsten Beschimpfungen der Geisel begleitet, zur Tür, wischte geistesgegenwärtig den inneren und den äußeren Türgriff ab, rannte auf die Straße und warf mich ins Auto. »Fahr los!«, schrie ich.
Fred, mehr der Automatikgetriebe-Fan, würgte prompt den Motor ab. Fluchend tauchte ich unter, suchte die beiden Drähte, rieb ihre blanken Enden aneinander, die Karre sprang wieder an. Wir rasten auf der Hauptstraße aus dem Ort des Schreckens, bogen irgendwann ab, auf eine Nebenstrecke.
»Willst du nicht endlich die Maske abnehmen?«, fragte Fred, der vor Aufregung glühte. »Hat ganz schön gedauert. Wie ist es gelaufen? Erzähl schon.«
Ich riss die Maske vom Gesicht. Mit Zitterfingern zündete ich eine Zigarette an. Schade, dass der Flachmann im Buick liegt, dachte ich. »Der Kassierer hat sein Frühstück ausgepackt, ein Käsebrot gefressen und gesagt, seinetwegen könne ich die Geisel ruhig erschießen.«
»Willst du mich verarschen?«
Ich stieß ein bitteres Lachen aus. »Das ist die Wahrheit. Und es kommt noch verrückter: Die Geisel, ein gewisser Hermann Bebbel, Kommunist und Nervensäge, flehte mich an, ihn zu erschießen.«
»Und? Hast du’s getan?«
»Hast du einen Schuss gehört? Na also. Der Verbrecher hinterm Schalter hat schließlich 600 Mark rausgerückt. Peinlicher geht’s gar nicht. Wenn ich so was wie eine Bankräuber-Ehre besäße, hätte ich diesen Betrag zurückgewiesen.«
Aber Fred atmete hörbar auf. »Besser als gar nichts, ein guter Anfang«, sagte er allen Ernstes. » Von 600 Mark müssen etliche Leute einen ganzen Monat leben.« Für ihn war dieser Bankraub ein Erfolg.
Als wir durch Bad Nauheim fuhren, beschlich auch Fred ein mulmiges Gefühl, da wir ja in einem
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