Das Jahr in dem ich beschloss meinen Grossvater umzubringen - Roman
Wasser.
»Es ist ein Fisch, ziemlich groß.« Sie breitete die Arme aus. »Der zuckt und schwimmt im Kreis, als wäre er verrückt.«
Sie beugte sich herab, schüttelte sich und watete zurück. »Ihm fehlt ein Auge.«
Ich hob Wachse hoch. Sie blieb steif in ihrer Position. Ich setzte sie ein Stück weiter oben am Strand ab und bog Finger für Finger ihrer Hand zurück. Im ersten Moment dachte ich, auf ihrer Handfläche läge ein gemaserter Stein, aber es war ein kleines Auge.
»Es ist das Auge des Fisches«, sagte Scotty.
Ich nahm es mit spitzen Fingern auf, an dem flachen Glaskörper hing graues Fleisch.
»Danke«, sagte Wachse. »Ich wäre allein nicht davon losgekommen.«
Ich warf das Auge ins Meer. Es sah aus, als ob der Fisch herankam und es schnappte. Vielleicht entstand nur der Eindruck, weil eine Windbö auf der Wasserfläche plötzlich viele kleine Wellen aufwarf.
»Was war los mit dir?«
Wachse wischte sich die Hände an ihrer Bluse ab. Sie zog an dem Fernglas um ihren Hals. »Ich hatte etwas entdeckt und watete ins Wasser, um es besser zu sehen, da kam dieses Tier, sah mich an. Es gibt diesen bösen Blick, wisst ihr das? Ich konnte mir nicht anders helfen und riss ihm ein Auge aus. Man muss das tun. Es ist das Einzige, was hilft, aber wenn du das Auge hast, nimmt es dich gefangen. Du musst es loswerden, das ist das Problem.«
»Was redest du da?« Scotty kniete sich vor sie, sah ihr ins Gesicht.
»Ich weiß das, weil ich es schon einmal selbst erlebt habe.«
Sie reichte mir das Fernglas. »Da drüben. Das muss der Berg sein, den wir suchen.«
Ich stellte meine Sehschärfe ein. »Da steht etwas auf dem Gipfel, eine Figur.«
Sie lachte. »Nein, nicht so weit. Weiter links. Da steht ein Sendemast ganz oben. Und wenn man von dort zum Meer schwenkt ... Es ist der Gebirgszug! Wir haben ihn gefunden!«
»Aber man sieht die Schatten nicht.«
»Er ist es.«
Wachse ging schwankend weiter den Strand entlang.
»Warte.« Ich lief hinter ihr her, hielt sie fest. »Es ist zu weit zu Fuß.«
Sie machte sich los und ging weiter. »Los, kommt!«
»Wir müssen erst zurück!«, rief ich.
10
»Irgendwann muss ich meiner Tätigkeit als Doppelagent nachgehen und meine geheimen Auftraggeber über den aktuellen Stand informieren«, sagte Scotty.
»Wie wäre es mit einer Desinformation?«
»Wie soll die aussehen?«
»Eine, die uns einen oder zwei Tage Vorsprung bringt.«
Wir hatten am Ortsausgang bei einem Autohändler einen alten Kleinbus gemietet. Auf Vermittlung der beiden Alten war der Händler im Preis heruntergegangen. Ich setzte mich ans Steuer. Hinter mir zog Wachse ihre Füße auf den Sitz. Sie war blass und fror. Dahinter klappten Ton und Technik eine Rückbank herunter, legten sich zwischen das Gepäck, um zu schlafen.
Wir fuhren am Golf von Policastro entlang. Die beiden Alten folgten in einem eigenen Wagen, einem alten Fiat 500. Er hatte noch die typische Eiform, war allerdings perfekt gepflegt. Sein weißer Lack und die Chromstangen glänzten wie neu. Ich nahm an, dass sie keine Leihgebühr zu zahlen hatten, sondern diese bereits in unserem Preis enthalten war.
Die Stadt namens Sapri, an deren rechter Flanke sich der Gebirgszug erhob, war etwa zehn Kilometer entfernt. Meine Karte reichte genau bis dort.
»Was werden wir finden?« Scotty saß neben mir und drehte sich um.
Wachse fuhr hoch. »Ich ...«
»Du weißt doch etwas.«
»Nein. Ich weiß nur ein Gefühl.«
»Du weißt ein Gefühl, aha.«
Wachse rutschte wieder in sich zusammen, sie verfinsterte ihren Blick. »Der Fisch«, murmelte sie, »der wusste auch etwas.«
»Was machen wir mit ihr?«, fragte ich Scotty. »Sie wirkt, als hätte sie Fieber.«
»Die beiden Alten behaupteten, in Sapri gäbe es ein großes Krankenhaus.«
»Nichts«, sagte Wachse, »mit mir macht ihr nichts. Ich bin okay. Alles, was wir zu tun haben, ist, so schnell wie möglich den Berg hinaufzukommen.«
Ich fuhr schneller, die Sonne stand schon tief. Die Straße führte nur teilweise direkt am Meer entlang, es häuften sich Hinweise auf Campingplätze, Residenzen und Badestrände. Eine letzte Kurve, und die Bucht von Sapri öffnete sich vor uns. Wachse wurde wieder unruhig, presste ihr Gesicht gegen das Fenster. Ich schlug vor, zuerst eine Unterkunft zu buchen. Nachdem wir an zwei kleineren Hotels vorbeigefahren waren, die uns zu intim erschienen, befahl Wachse, das nächste hätte es zu sein. Ihre Zähne schlugen aufeinander. Es hieß Tirreno, lag direkt
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