Das Jahr in dem ich beschloss meinen Grossvater umzubringen - Roman
an der Promenade und war wahrscheinlich das größte am Ort.
Wir buchten Zimmer für alle, und Wachse trieb uns zur Eile an. Es sei keine Zeit, auszuladen, das könnten wir später tun. Wir müssten sofort die Straße weiter in die Berge fahren.
Ton und Technik luden trotzdem aus, wollten nicht mitkommen. Ich breitete die Karte aus. »Richtung Autobahn, Lagonegro«, sagte Wachse; sie tanzte auf der Stelle, kratzte sich an den Armen und den Beinen.
»Nein.«
»Warum nicht?«
»Die beste Sicht haben wir wohl mit mehr Abstand. Hier entlang.« Ich zeigte auf eine zweite Straße, die zu einem Ort namens Torraca führte.
»Aber es ist auf der anderen Seite. Die andere Straße.« Wachse zitterte. Sie stöhnte. »Das ist falsch.«
»Dieser Horrorfisch muss dich vergiftet haben!«
»Nein, es ist der Berg. Es kommt von da oben. Jetzt weiß ich es genau.«
»Was weißt du genau?«
»Wenn ich das nur wüsste.«
Wir fuhren durch die Stadt. Es gab keine weiteren großen Hotels. Internationale Reisegesellschaften hatten den Ort sicher nicht in ihren Katalogen. Wir fanden die Straße nach Torraca. Sie stieg in Serpentinen hinauf, bald fanden sich keine Häuser mehr an ihrer Seite. Wachse saß mit verkniffenem Gesicht hinter uns und fluchte. »Falsch, alles falsch! Wir entfernen uns! Falsche Richtung! Warum hört denn keiner auf mich? Dreh um, fahr zurück! Es ist der verkehrte Weg. Wenn ich es euch doch sage. Da drüben, da drüben müssen wir hin!«
Eine Zeit lang hatte ich das Gefühl, wir würden keine Sicht auf die gegenüberliegenden Berge bekommen. Korkeichenwälder versperrten den Blick. Dann kamen ein verwaistes Restaurant und der Hinweis auf ein Hotel. Verrostet und abgeknickt. Vielleicht gab es das Hotel nicht mehr. Doch plötzlich öffnete sich die Straße zur rechten Seite. Ich fuhr an einem unbewohnten mehrstöckigen Bau vorbei, der wie ein Krankenhaus aussah, und hielt kurz darauf an. Auf der anderen Seite des Tales lag der Gebirgszug. Für einen Moment sah jeder von uns die große Ähnlichkeit der Schatten. Schweigend stiegen wir aus, aber im gleichen Moment schoben sich Wolken vor die Sonne. Nur ein schmaler Lichtfinger lag noch über den Häusern der Stadt unter uns, verlöschte nun ebenfalls.
»Verdammt!« Scotty fluchte und drehte sich in Richtung untergehender Sonne. Eine lang gestreckte Wolke in Form eines Krokodils hatte die Sonne verschluckt. Der Bauch des Tieres leuchtete rosafarben. Es blieb nicht mehr viel Zeit, bald würde der hinter uns liegende Berg die Sonne verdecken.
Wachses Zähne schlugen aufeinander.
»Frierst du?«
»Nein, nein, nein.«
Sie reichte Scotty ihren Fotoapparat. »Ich kann den nicht ruhig halten. Wenn die Sonne wieder durchkommt, musst du fotografieren. Einfach draufdrücken.«
Sie klammerte sich mit beiden Händen an die Leitplanke der Straße und schloss die Augen.
»Jetzt«, sagte Wachse. Sie riss die Augen auf, und im gleichen Augenblick kam die Sonne durch. Scotty hob den Fotoapparat und schoss ein Foto nach dem anderen.
Es war unser Berg, aber das alte Foto war zu einer anderen Tageszeit und wahrscheinlich zu einer anderen Jahreszeit aufgenommen. Die Schattenfiguren waren nicht so präzise gezeichnet wie auf der Steintafel, sie zerliefen an den Rändern und waren aufeinander zugewachsen. Der Bewuchs hatte sich geändert, war stellenweise zurückgedrängt worden. Das Wetter hatte mit Kälte und Hitze an dem Berg genagt, Steine und Fels gelockert, zersprengt. Der Regen hatte ihn gewaschen. Immer wieder. Über zweitausend Jahre lang.
Nun erkannte ich, dass die kleineren schmalen Schattengebilde der Identifizierung dienten, während der große Schatten in Form eines Kaktus im Mittelpunkt eine Bedeutung hatte. Auf dem Foto war es noch deutlicher als in diesem späten Licht. Es war kein Kaktus, sondern die lang gestreckte Figur eines Menschen, der mit einer Hand nach oben zeigte, auf eine Stelle kurz unterhalb des Bergkamms.
Wachse sah, was ich sah. Sie hob den Arm, bildete fast die gleiche Figur. »Dort, da oben, das ist es, da müssen wir hin. Schaffen wir das heute noch?«
Scotty kontrollierte ihre Fotos auf dem kleinen Display an der Rückseite der Kamera. Sie nickte mir zu. »Es ist zwar nicht dasselbe, aber er ist es mit großer Wahrscheinlichkeit. Nein, er muss es sein!«
»Morgen«, sagte ich zu Wachse. Ich setzte das Fernglas an. Zur Zeit des alten Fotos war der Sendemast noch nicht gebaut gewesen.
»Man sollte meinen, wo ein Sender steht, führt auch
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