Das Jahr in dem ich beschloss meinen Grossvater umzubringen - Roman
zurückgeblieben. Die beiden Alten waren dichtauf. Ich sah sie gestikulierend miteinander reden. In unserer Gegenwart sprachen sie nie, sondern verständigten sich nur durch Blicke, jetzt schienen sie eine erregte Diskussion zu führen. Bei längeren geraden Strecken kam hinter dem kleinen Fiat das Auto von Frank und Martin wieder in Sichtweite. Sie hatten Mühe, uns zu folgen. Frank saß am Steuer.
»Wie geht die Geschichte weiter?«, fragte ich Wachse.
»Das war es schon«, sagte sie. »Mein Vater gewann den Wettbewerb um sie. Ich wurde geboren. Kein großartiges Ergebnis. Kein Happy End.«
Wir sahen sie an, aber sie blickte zu Boden, eine senkrechte Falte schärfte sich auf der Stirn.
Ton, im blauen T-Shirt, boxte sie mit der Faust leicht an die Schulter, grinste sie an. »Komm schon, erzähl die Scheiße.«
»Es befreit«, ergänzte Technik.
»Ja, also gut. Als ich geboren wurde, begann das Unglück. Mit mir begann es. Das sieht man doch. Meine Mutter hatte mich fast zehn Monate getragen, trotzdem war ich bei der Geburt zu klein, und die Ärzte wussten sofort, was los war.
Im Dorf gab man natürlich der schönen jungen Frau die Schuld. Eine Hexe, klar doch. Die verrücktesten Geschichten kursierten. Die einen erzählten, sie sei eine Terroristin und habe auf den Papst geschossen. Andere behaupteten, sie pflücke bei Vollmond Fliegenpilze oder mein Vater sei ihr Bruder und so weiter. Alles Lügen, Lügen. Dann kamen keine Gäste mehr in die Wirtschaft. Angeblich schüttete die Hexe ein Mittel ins Bier, das impotent machte. Im Abstand von drei Monaten geschah ein Unglück nach dem anderen. Mein Großvater wurde von einem Auto überfahren. Die Wirtschaft brannte ab. Ein Onkel verlor in der Häckselmaschine einen Arm. Meine Oma ertränkte sich in der Ostsee, und ich ... ich riss meiner Mutter ein Auge aus.«
»Was?«
»Komm, bleib bei der Wahrheit«, sagte Ton.
»Okay. Ich spielte am Boden, hatte irgendwas in die Hand bekommen. Eine Nagelfeile vielleicht. Etwas Spitzes. Ich weiß es nicht. Ich war doch noch fast ein Baby, konnte gerade laufen oder so. Ich weiß einfach nicht genau, wie alt ich war, weil überhaupt nie mehr darüber gesprochen wurde. Also, ich hatte etwas in der Hand, spielte auf dem Erdboden. Meine Mutter nahm mich hoch auf den Arm. Ich hatte diesen spitzen Gegenstand in der Faust. Ihr linkes Auge war nicht mehr zu retten. Als sie aus dem Krankenhaus kam, packte sie ihre Sachen zusammen. Dann suchte sie die ganze Nacht nach Fotos, auf denen sie allein oder mit anderen zu sehen war. Mit einer Nadel durchbohrte sie auf jedem Bild ihr linkes Auge. Sie sagte kein Wort. Am Morgen stieg sie in den Bus und fuhr für immer davon.«
Scotty hatte ihre Hand genommen. »Du meinst, sie gab dir die Schuld an dem Unfall?«
»War ich nicht schuld?«
»Weißt du, wo sie lebt?«
»Nein, es kam nie wieder eine Nachricht von ihr. Mein Vater war, glaube ich, froh darüber.«
»Und du hast nie versucht herauszufinden, wo sie ist?«
»Nein. Ich weiß genau, eines Tages wird sie wiederkommen. Das weiß ich ganz genau. Sie wird sehen wollen, ob ich groß und schön geworden bin. Und wenn nicht, dann wird sie ein Auge von mir verlangen, weil sie ihres umsonst geopfert hat.«
»Was ist das für eine Schlussfolgerung?«, fragte ich.
Ton mischte sich ein: »Die Leute im Dorf erzählen, Wachses Mutter hätte ihr eines ihrer Augen zu trinken gegeben, als Wachstums- und Schönheitselixier.«
»Ich denke«, sagte Wachse, »sie verließ uns, damit ich nicht in ihrer Schuld stehe. Damit ich meine Schuld durch ihre Anwesenheit nicht täglich sehen musste. Sie konnte nicht wissen, dass es durch ihr Fortbleiben noch viel schlimmer war.«
»Wie, schlimmer?«, fragte ich.
»Ich meine, ich weiß nicht, ob sie mir verziehen hat.«
»Das versteht er nicht«, erklärte Scotty. »Gordon denkt, ihre Schuld ist größer, weil sie dich geboren hat. Was ist ein Auge für ein ganzes Leben?«
»Richtig.« Ich nickte.
Technik bog von der Hauptstraße ab, aber nach einer kurzen Strecke endete der schmale Weg vor einem Tor. Falscher Weg. Es gab keine Möglichkeit, zu wenden. Er lehnte sich aus der Tür, winkte den anderen hinter uns, sie sollten rückwärtsfahren. Aber sie begriffen es nicht oder dachten, wir wollten sie loswerden. Sie stiegen aus und kamen zu uns. Technik zog die Tür zu, kurbelte das Fenster hoch, damit sie seine Beschimpfungen nicht hören konnten.
Beim zweiten Anlauf fanden wir den richtigen Weg. Die
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