Das Jahr in dem ich beschloss meinen Grossvater umzubringen - Roman
weiter.«
Es führte eine sehr schmale Straße dorthin, erklärte ihr der Mann hinter dem Tresen, ohne nach unserem Grund zu fragen. Die Straße sei zwar manchmal durch einen Schlagbaum abgesperrt, aber wir sollten ihn einfach hochheben.
Die Sonne hatte die Autos erhitzt, das Blech knackte. Die Sitze waren so heiß, dass wir fürchteten, uns zu verbrennen. Wir lüfteten die Wagen einen Augenblick. An einer Seite des Platzes hatten sich auf den Stufen zu einer Pizzeria eine Reihe von Männern versammelt und beobachteten unsere Gruppe.
»Was denken die Leute wohl?«, fragte Scotty.
»Dass wir Verbrecher sind, mit besonderem Schutz.«
»Müssen wir vor diesem speziellen Schutz nicht inzwischen Angst haben?«
Ich hob die Schultern. »Unsere beiden Leibwächter halten uns alle anderen Interessenten an unserem Vorhaben auf Distanz.«
Unser Konvoi setzte sich in Bewegung. Der Kleinbus voraus, dann Frank und Martin in ihrem Wagen und am Schluss die beiden Alten.
Wir fuhren die Straße hinauf in die Berge, Richtung Lagonegro. Kaum hatten wir die letzten Häuser eines Vorortes hinter uns gelassen, entdeckten wir Wachse. Sie saß matt und zusammengesunken am Straßenrand. Von ihrem Gesicht tropfte der Schweiß. Ihre Glieder hatte sie kaum unter Kontrolle. Durch die Anstrengung ihrer Wanderung war ihre Haut nicht mehr gelb, sondern rot. Ton sprang aus dem Wagen und griff ihr unter die Arme. Sie war so kraftlos, dass sie ohne seine Hilfe kaum in den Wagen klettern konnte. Wortlos sank sie auf einem Sitz zusammen. Ihr Haar dampfte in dem klimatisierten Bus. Unsere Fragen nach ihrem Vorhaben und ihrem Zustand beantwortete sie nur mit einem Grunzen. Ton und Technik flößten ihr Wasser ein, klopften ihr auf die Schulter, boten ihr zu essen an. Sie wehrte ab, faltete ein Taschentuch auseinander und legte es sich über das Gesicht.
Die Serpentinen häuften sich. Die Kurven wurden enger. Ich fuhr schweigend und konzentriert, achtete darauf, dass unser Gefolge nicht verloren ging. Nach einer Weile tippte mir Ton auf die Schulter. Er hielt sich die Hand vor den Mund.
»Schnell anhalten«, sagte Technik hinter ihm. Ich bremste, Ton sprang heraus und übergab sich. Er schwankte, fiel fast in einen Graben zwischen Felswand und Straße.
Wir ließen ihm etwas Zeit, sich zu erholen, stiegen selbst aus. Scotty reichte ihm eine Wasserflasche.
»Die Kurven«, sagte er.
Scotty bot an, mit ihm den Platz zu tauschen.
»Am besten, er fährt«, sagte ich. »Ton, kannst du fahren?«
Ton war achtzehn, besaß einen Führerschein und meinte, er wäre Technik. Sie hatten am Morgen ihre T-Shirts getauscht.
Wir wollten weiterfahren, aber Wachse war unbemerkt ausgestiegen und verschwunden. Ich entdeckte sie rechts der Straße. Sie zog sich an den vom Wasser blank gescheuerten Steinen hoch. Im Winter schoss hier wahrscheinlich ein Bach den Fels hinunter. Woher hatte sie plötzlich wieder die Kraft? Ich rief sie, aber sie reagierte nicht. Schließlich kletterte ich ihr hinterher.
»Wachse, kommen Sie zurück.«
»Hier gerade hoch. Da ist es doch«, sagte sie. »Alles andere ist ein Umweg.«
»Was ist da oben?«
»Etwas, wo ich unbedingt hinmuss und das mir gleichzeitig Angst macht.«
»Wovor hatten Sie bisher am meisten Angst?«
»Dass meine Mutter zurückkehrt.«
»Ich dachte, sie lebt bei euch und arbeitet im Gasthof in der Küche.«
»In der Küche, das ist eine Tante. Meine Mutter hat uns, als ich etwa zwei Jahre alt war, verlassen.«
Wir kletterten zurück, und im Auto erzählte Wachse die Geschichte von ihrer Mutter, die eines Tages im Dorf aufgetaucht war.
»Sie war Konditorin, und der Bäcker stellte sie ein, obwohl er eher jemanden im Laden zum Verkauf brauchte. Bei uns backen alle selbst. Kuchen und Torten braucht der Bäcker nur im Sommer, wenn die Touristen kommen.
Na ja, sie stand da im Laden und muss eine ungeheure Attraktion gewesen sein. Es gibt ja auch nicht viele schöne und junge Mädchen, die Lust haben, auf dem Land zu leben. Wer schlau ist, zieht in die Stadt. Auf jeden Fall waren alle jungen Bauernsöhne der Umgebung auf einmal täglich Kunden des Bäckers.«
Wachse verstummte. Ihre Gesichtsfarbe hatte wieder gewechselt, war jetzt grauer Beton und ebenso unbeweglich.
»Und das war Ihre Mutter«, hakte ich nach. Wachse presste die Lippen aufeinander.
Technik fuhr schneller als ich, schnitt die Kurven am inneren Straßenrand. Ich drehte mich um, suchte die Wagen hinter uns. Frank und Martin waren mit ihrem Auto
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