Das Jahr in dem ich beschloss meinen Grossvater umzubringen - Roman
Schranke stand offen. Die Straße war schmal und von einer kleinen Mauer begrenzt. Ein anderes Auto hätte hier auf keinen Fall entgegenkommen dürfen. Es gab keine Ausweichmöglichkeiten.
Technik jagte den Wagen mit großer Geschwindigkeit und aufheulendem Motor den Weg hinauf. Er grinste in den Rückspiegel. Unsere Begleiter in den anderen Fahrzeugen mussten denken, wir wollten flüchten. Wir erreichten die erste Anhöhe, und innerhalb von Sekunden verschwand die Sonne, und eine Wolke hüllte uns in dichten Nebel. Technik entdeckte gerade noch einen befahrbaren Platz rechts der Straße und parkte dort. In kürzester Zeit war von der Landschaft nichts mehr zu sehen. Technik stellte den Motor ab, öffnete das Fenster und lauschte. Kälte strömte herein. Alle Geräusche waren verstummt. Die Luft war ein nasses Handtuch, wischte über unsere erhitzten Gesichter. Scotty rieb sich die Gänsehaut von den Armen. Technik legte einen Finger auf die Lippen. Ein dünnes Zischen drang durch den Nebel, wurde zum Rauschen. Kurz darauf hörten wir die heulenden Motoren der anderen Autos. Dicht hintereinander, mit hoher Geschwindigkeit fuhren sie an uns vorbei. Zu sehen war nichts.
Ton lachte laut.
»Die wären wir los«, sagte Technik. »Und hoffentlich fallen sie auf der anderen Seite eine Klippe hinunter.«
13
Ein schwacher Wind befreite uns nach einer halben Stunde von der Wolke. Sie erhob sich, gab den Blick zu unseren Füßen frei und rollte langsam über den Kamm Richtung Meer.
Wir fuhren das letzte Stück zum Sendemast hinauf. Die Straße wurde flach und breit, hatte keine Einfassung mehr. Die anderen Wagen kamen uns entgegen, wendeten hektisch hinter uns. Die Sendestation bestand aus einem hoch eingezäunten Areal mit dem Mast und einem gegenüberliegenden Haus. Obwohl an der Seite ein Wagen parkte, wirkte alles verlassen. Die Station lag auf einem zweiten Höhenzug, der von unten nicht zu sehen gewesen war. Unser Berg war unter uns. Genau dort, wo wir schon im Nebel gestanden hatten, war die richtige Höhe.
Wir hielten uns nicht auf und fuhren zurück. Die Wolke löste sich wie ein ausfransendes Tuch über dem Meer auf. Wir parkten an dem alten Platz und stiegen aus. Die Sonne forderte sofort unseren Schweiß.
Frank brüllte mich an: »Was soll der Zickzackkurs? Ihr wolltet wohl abhauen, was?«
Die beiden Alten lehnten sich mit dem Rücken an ihr kleines Auto. Mit synchronen Bewegungen setzten sie sich hellbraune geflochtene Hüte auf. Sie zogen die Krempe weit in die Stirn und beobachteten uns.
Ein schmaler Pfad führte uns durch ein kleines Wäldchen auf ein Geröllfeld hinaus. Nur Steine, Fels, Schotter, manchmal eine kleine Fläche mit brauner Erde, vereinzelten Gräsern, Ginster, verkrüppelten Bäumen, Dornenbüschen. Ich entdeckte Kuhfladen, aber keine Tiere. Keine Häuser, keine Ställe oder Unterstände.
Wachse eilte voraus. Ihr Wahnsinn war ihr Kompass. Trotz ihrer kürzeren Beine war sie die Schnellste von uns, setzte sich immer mehr ab. Die Sonne kochte uns das Gehirn, und die Kleidung klebte uns am Körper. Keiner außer Scotty hatte an einen Hut gedacht. Auf der ersten Anhöhe bekamen wir die Stromleitung in den Blick. Die Richtung stimmte.
Ich rief Wachse zu, sie solle langsamer gehen, aber sie hörte mich nicht. Ich stolperte hinter ihr her, rief und fluchte, aber sie sah sich nicht einmal um. Atemlos holte ich sie ein, hielt sie am Arm fest.
»Verdammt, Wachse, lassen Sie uns zusammenbleiben.«
Sie wendete mir ihr Gesicht zu. Es war vollkommen ausdruckslos. Langsam füllte sich ihr Blick.
»Was ist los?«
»Sie rennen wie eine Irre.«
»Niemand braucht mitzukommen. Es ist nur für mich wichtig. Geht zurück.«
Die anderen waren etwa hundert Meter entfernt. Die beiden Alten waren noch weiter zurückgeblieben.
»Wachse, wir haben mindestens noch eine Wanderung von ein bis zwei Stunden vor uns. Wenn Sie in dieser Geschwindigkeit weiterlaufen, werden Sie nicht ankommen, sondern vorher mit einem Herzanfall tot umfallen.«
Sie setzte sich auf einen Fels, kam sofort wieder hoch, als wäre sie gestochen worden.
»Ich kann nicht warten.«
»Gut, dann lassen Sie mich aber bei Ihnen bleiben.«
Wir gingen weiter, bevor die anderen uns eingeholt hatten. Um ihr Tempo zu drosseln, befragte ich sie zu ihrer Kindheit und ihrer Mutter.
»Das Versehen mit der Nagelpfeile«, sagte sie, »kann man vielleicht als ersten kindlichen Versuch werten, die Mutter zu töten.«
»Sie haben mit einem
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