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Das Jahr in dem ich beschloss meinen Grossvater umzubringen - Roman

Das Jahr in dem ich beschloss meinen Grossvater umzubringen - Roman

Titel: Das Jahr in dem ich beschloss meinen Grossvater umzubringen - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gunter Gerlach
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Transvestiten? Einen Mann? Ein Hass- oder Sexualobjekt? Ein exotisches Stück in seiner Sammlung?
    Ich sah in ihr nur mich selbst, meinen instabilen Zustand in einer nach oben offenen Entwicklung. Sie war nur eine Gelegenheit, mich in einem anderen Menschen zu finden. Vielleicht auch die Erinnerung an mein Kindermädchen. Wenn es das gegeben hatte. Eva war eine Frau, deren Körper niemals auch nur ein bisschen vom Modeideal besitzen würde. Sie war verwirrt, gab Verwirrung weiter, zog Verwirrte an sich.
    Was hatte sie in mir gesehen? Einen Mann ohne menschlichen Inhalt, einen weißen Fleck, eine Insel, die sie nach Belieben besiedeln und verlassen konnte. Einen Mann in schwankender Verfassung, gerade von einer Frau verlassen, den man sich deshalb nehmen und ihn nach Gutdünken betrügen kann, um ihn in noch schlechterer Verfassung wieder von sich zu stoßen. Einen Beziehungskrüppel?
    Wir stiegen die Treppen zu ihrer Wohnung hinauf. Die schrägen Wände und Möbel wirkten auf mich, als wäre ich betrunken. Ich musste mich schnell setzen. Ich war betrunken. Eva zog mich bis ins Wohnzimmer, platzierte mich auf einem schrägen Stuhl vor dem Esstisch, der mich an die Lehne drückte. Sie lief barfuß durch die Wohnung, löschte die meisten der Lichter, dann kletterte sie vor mir auf den Esstisch und zog sich rasch vollständig aus.
    »Was sehen Sie?« Sie trat einen halben Schritt zu mir heran, stand direkt über mir.
    »Den Körper einer Frau, eindeutig. Die Brüste fehlen. Das ist alles.«
    Eva nickte. »Die meisten von uns lassen sich zuerst die Brüste wachsen. Sie glauben, es sei dem Arzt gegenüber ein gutes Argument für die Geschlechtsumwandlung. Die Oberfläche. Ich wollte eine Frau sein, weil ich es innerlich längst war. Brüste kann sich jeder wachsen lassen.«
    Sie setzte sich auf die Tischkante, öffnete ihr Haar wieder, versteckte ihre flache Brust dahinter.
    »Die Operation bringt nicht die erwartete Befriedigung. Das wird einem vorher schon gesagt, aber man glaubt es nicht. Man bleibt ein Wanderer zwischen den Welten. Die Liebe, die man erfährt, ist voller Zweifel. Ich verzichtete letztlich aus diesem Grund auf die Brüste. Ich wollte Frau sein und trotzdem meine Herkunft nicht verleugnen.«
    »Wahrscheinlich der schwierigste Weg.«
    »Man ertrinkt fast in Tränen.«
    »Wann haben Sie sich operieren lassen?«
    »Vor sechs Jahren. Ich hatte seitdem nur einen Mann. Mit ihm war es bezahlter Betrug.«
    Ich streckte meine Hand aus. Sie kletterte von der Tischkante auf meinen Schoß. Ich zog ihren Haarvorhang auf und küsste sie.

13
    Mein Vater sprach kaum mit mir. Er sprach immer nur wenige Worte mit mir. An diesem Abend, als ich von meiner Prospektverteilertour zurückkam, nickte er mir nicht einmal zu, sondern bohrte mit den Fingern in den Zähnen.
    Natürlich hatte ich den Job sofort gekündigt. Ich war vorbereitet, so lange wie möglich zu lügen. Aber er fragte nichts.
    Als ich ins Bett ging, hörte ich einen Wagen vorfahren. Ich kannte das Motorengeräusch, trotzdem schlich ich zum Fenster. Es war mein Großvater.
    Unten in der Küche mischten sich seine schweren Stiefelschritte mit der hellen Stimme meiner Mutter und den tiefen Stimmen der Männer. Die dumpfen Töne drangen zu mir herauf wie die unverständliche Sprache von Eingeborenen, Kannibalen, die mich gefangen hielten. Sie diskutierten nicht über meine Hinrichtung, sondern über meine Zubereitung. Gekocht oder gebraten. In ihrer Vorfreude lachten sie, entkorkten Flaschen, stampften mit den Füßen auf und stießen mit Gläsern an.
    Ich blieb wach. Nach Stunden kam Großvater langsam die Treppe herauf, öffnete meine Tür. Er schaltete das Licht nicht ein, sondern setzte sich im Dunkeln an den Rand meines Bettes.
    »Du brauchst also Geld«, sagte er.
    Ich zog das Betttuch bis unters Kinn und versuchte, seine Mimik in der Dunkelheit zu erkennen.
    »Du brauchst es, um Frauen zu erkunden, was?«
    Er wusste alles, sogar dass ich meinen letzten Prospektausträger-lohn einem Mädchen aus meiner Klasse gegeben hatte. Sie zeigte mir dafür ihre Brüste. Jedem zeigte sie gegen Geld ihre Brüste, jeder durfte sie überall anfassen. Es war nur eine Frage der Summe.
    Ich lag starr auf dem Rücken und spürte, wie meine Arme zitterten. Ich lies das Betttuch los und verschränkte meine Arme über der Brust, damit er es nicht bemerkte.
    »Du wirst diesen Job aufgeben und auch keinen anderen annehmen. Hast du verstanden? Wenn du Geld brauchst, wirst du es von

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