Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Jahr in dem ich beschloss meinen Grossvater umzubringen - Roman

Das Jahr in dem ich beschloss meinen Grossvater umzubringen - Roman

Titel: Das Jahr in dem ich beschloss meinen Grossvater umzubringen - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gunter Gerlach
Vom Netzwerk:
nicht. »Ich muss vorher etwas Wichtiges sagen, sonst werde ich in Tränen ertrinken.«
    Sie zog mich in eine Bar, setzte mich unter Alkohol, dann erzählte sie von ihren Eltern, von der Zeit, als sie aufgewachsen, zur Schule gegangen war. Sie zitterte, wusste nichts mit ihren Händen anzufangen und erzählte von den Problemen aus ihrer Teenagerzeit. Ganz allmählich begriff ich, dass sie als Junge, als Mann aufgewachsen war.

11
    Im gleichen Moment, als ich die Prospekte für die Sonderangebote des Baumarkts aus dem Fahrradanhänger hob, um sie auf die Briefkästen des Mietshauses zu verteilen, entdeckte ich meinen Vater. Er saß im Auto, hatte das Seitenfenster heruntergekurbelt und blickte mit offenem Mund in meine Richtung.
    Ich war fünfzehn und hatte mir heimlich einen Job als Prospektausträger einmal die Woche besorgt. Die anderen Schüler verdienten sich auf diese und ähnliche Weise ebenfalls etwas zu ihrem Taschengeld hinzu. Ich hatte das nicht nötig, aber ich wollte die gleichen Dinge tun wie sie, die gleichen Abenteuer erleben.
    Ich ärgerte mich, dass ich keine Verkleidung getragen hatte. Eine Sonnenbrille und eine Kappe hätten genügt, um nicht von weitem erkannt zu werden. Jetzt würde mein Vater es Großvater erzählen. Er wurde bestimmt bezahlt für solchen Verrat.
    Geschah etwas gegen den Willen meines Großvaters, gab es aber nicht immer Strafen. Nach welchen Kriterien er bestrafte, war für mich nicht erkennbar. Sehr oft nahm er meine Fehltritte nur lächelnd zur Kenntnis, dann wieder schlug er mir ins Gesicht. Aber ich hatte mich in der Regel unter Kontrolle, bot ihm keinen Ausdruck des Schmerzes, keine Träne. Meist war er auch einfallsreicher. Einmal brachte er eine lebende Schnecke mit. Ich musste sie essen, bis ich mich erbrach. Warum er das angeordnet hatte, wusste ich bereits nicht mehr.
    Das Schlimmste waren Demütigungen vor den anderen Schülern. Ich erinnere mich an eine Fahrt mit ihm zur Schule. Er hatte mich mit einem Strick gefesselt. Ich weiß nicht mehr, warum. Bei der Schule angekommen, brachte er mich bis ins Gebäude hinein und nahm mir erst dort – vor allen anderen – die Fesseln ab.
    Es war eine belebte Einkaufsstraße in unserem Vorort. Ich flüchtete mit dem Prospektstapel vor meinem Vater in den kühlen Flur des Mietshauses. Durch einen Spalt in der Haustür sah ich ihn sein Auto langsam verlassen. Er überquerte die Straße und kam auf das Haus zu. Er blickte in den Fahrradanhänger, hob einen der Prospekte heraus, ließ ihn wieder fallen und ging weiter zum Eingang. Ich hastete die Treppe hinauf. Ein junger Mann stand in der ersten Etage. »Musst du dich verstecken?«
    Ich nickte.
    »Komm mit.« Er zog mich in eine Wohnung hinein, die nach Zuckerwatte und Blumen roch. Wir blieben gleich hinter der Tür stehen. Ich lauschte ins Treppenhaus.
    »Wer darf dich nicht finden?«, flüsterte er und ging in die Hocke, um durch das Schlüsselloch zu spähen.
    »Mein Vater.«
    Ich hörte seine Schritte die Treppe heraufkommen. Ich dachte, wenn er mich nicht findet, kann ich sagen, ich war es nicht. Es muss jemand gewesen sein, der mir ähnlich sieht.
    Der junge Mann kniete vor mir und öffnete meine Hose. Er hielt den Finger vor die Lippen. »Ich verrate dich nicht.«
    Er steckte seine Hand in meine Hose, zog sie weiter auf, schob die Unterhose nach unten, bis er meinen Penis zu fassen bekam. Mein Vater war auf dem Treppenabsatz stehen geblieben. Durch die Tür hörte ich seine Atemzüge. Ich spürte, er lauschte von der anderen Seite.
    Ich konnte mich nicht wehren, versuchte so flach wie möglich zu atmen. Ich sah herab, wagte nicht, mich zu bewegen. Der Schweiß brach mir aus. Mein Penis steckte im Mund des Mannes. Ich schämte mich für meine Erektion. Das war nicht ich.

12
    »Alles, was ich will, ist, dass Sie mich ansehen. So wie ich bin.« Eva rutschte vom Barhocker hinunter. »Sie sollen dann sagen, was Sie sehen, in mir sehen. Mehr will ich nicht.«
    Ich folgte ihr durch die Nacht und versuchte ihr zu sagen, dass ich für diese Aufgabe ungeeignet sei. Eva, immer einen Schritt voraus, ließ nichts gelten. Die Lichter entgegenkommender Wagen blendeten mich und machten ihren Körper dünn, fast durchsichtig. Im Gehen nahm sie ihr langes Haar und band es zusammen. Ihre Schritte wurden länger, der Oberkörper wiegte sich leicht zu den Seiten.
    Aus ihrer Sicht hatte sie das Recht, meinen Blick zu verlangen. Was hätte ein normaler Mann in ihr gesehen? Eine Frau? Einen

Weitere Kostenlose Bücher