Das Jahr in dem ich beschloss meinen Grossvater umzubringen - Roman
später wurde ich als Evaristo geboren. Meine Mutter soll sehr große Angst vor der Geburt gehabt haben. Sie fürchtete wohl, mein Aussehen würde verraten, wer mein Vater war. Zum Glück ähnelte ich meinem älteren Bruder, und niemand machte sich Gedanken darüber, dass ich einen anderen Vater haben könnte.«
Ich wollte etwas einwenden. Sie schüttelte den Kopf. »Warte es ab, die Geschichte ist damit noch nicht zu Ende. Jakob und William Godin kamen noch einmal wieder. Diesmal hatten sie bessere Landkarten dabei. Waren besser ausgerüstet. Jakob landete mit dem Flugzeug wieder auf unserer Wiese. William erreichte das Dorf einen Tag später in einem Geländewagen. Diesmal brauchten sie keine Begleitung. Sie schlugen nur ihr Lager bei uns auf. Meine Mutter erzählte, William wäre so weit wie möglich ins Gebirge gefahren und dort herumgeklettert. Jakob Godin dirigierte ihn vom Flugzeug aus. Sie besaßen eine Genehmigung, mussten sich nicht mehr verstecken. Ein Polizist aus dem Nachbardorf kam und kontrollierte sie. Er bestätigte, dass die beiden wirklich auf der Suche nach einer bestimmten Pflanze seien. Aber alle im Dorf lachten und behaupteten, die Pflanze müsse wohl aus Gold sein. Ich glaube, ihre Suche hat etwas anderem gegolten.
Sie ließen sich viel Zeit und stets arbeiteten sie allein. Meine Mutter sagte, sie hätte in William Godins Taschen Sand gefunden, wenn er von seinen Wanderungen zurückkam.
Und dann ist das nächste Unglück geschehen. Dein Urgroßvater ist abgestürzt. Es kamen Suchflugzeuge. Ich weiß nicht, ob man ihn gefunden hat. Ich glaube nicht. Wahrscheinlich ist er ins Meer gestürzt.«
»Ah, jetzt weiß ich, wo das war. Ich kenne die Geschichte vom Absturz meines Urgroßvaters. Es war auf den Philippinen. Aber er wurde gefunden. Viele Jahre später entdeckten Bergsteiger das Flugzeugwrack. Bleiche Knochen inmitten von verbogenen Metallteilen. Aber man konnte ihn noch identifizieren. Wie ging es weiter?«
Eva schnaufte. Sie berichtete, dass ihre Familie seit dem ersten Besuch der Godins regelmäßig Geld bekam, ein größeres Haus baute, die Männer aufhörten zu arbeiten. »Wir waren plötzlich eine der reichsten Familien. William Godin bot meiner Mutter an, sie und ihre beiden Söhne mit sich zu nehmen. Aber sie wollte nicht in ein fremdes Land. Er versprach ihr, für sie zu sorgen und meine Ausbildung zu übernehmen. Meine Mutter wünschte sich, ich sollte Medizin studieren. Als ich sechs Jahre alt war, wurde ich abgeholt und in ein Internat gebracht.«
»Hat William Godin dich abgeholt?«
Sie nickte und schüttelte den Kopf. Sie wusste es nicht mehr genau. Ein Mann sei es gewesen. Ihre Mutter habe ihr erst, als sie vierzehn Jahre alt war, gebeichtet, dass William Godin ihr Vater sei und versprochen habe, für sie zu sorgen.
»Meine Mutter war damals schon sehr krank. Sie verließ das Bett nur noch selten. Und bei einem meiner letzten Besuche behauptete sie, dein Urgroßvater habe ihren Mann umgebracht. Sie erzählte es mir sehr unbeteiligt, fast so, als wäre sie damit einverstanden gewesen. Ihr Mann wäre Jakob Godin gefolgt, obwohl er zurückbleiben sollte wie die anderen. Er habe wohl etwas gesehen, was die beiden Godins gefunden hätten. Da die beiden es erst später hätten holen können, mussten sie ihren Mann zum Schweigen bringen.
Meine Mutter gab mir alles, was sie an Unterlagen besaß. Sie hatte von einem Onkel gezeichnete Karten über die Wege, die Jakob und William ins Gebirge gewandert waren. Unsere Familie war nicht so dumm, wie die beiden gedacht hatten. Sie hielten uns wohl für primitive Wilde, mit deren Frauen man einfach schlafen kann.«
Sie blickte mich an, lächelte.
»Ich bin dann mit sechzehn in den Sommerferien mit zwei Freunden aus meiner Klasse in das gleiche Gebirge gestiegen, habe aber keine der Routen der Godins genommen, sondern eine Strecke in eine vollkommen andere Richtung. Es schien mir, als hätten Jakob und William auf ihren ersten Touren ganz bewusst einen bestimmten Weg gemieden. Als wäre es ihnen nur darum gegangen, zuerst die Umgebung zu sichern oder ihre Begleiter in die Irre zu führen und sich danach allein dem Ziel zu nähern. Wir gingen also nicht hinauf auf den Gipfel, sondern seilten uns in eine winzige schmale Schlucht ab. Dort unten entdeckten wir in kaum zugänglichem Gelände schmale Felsspalten mit sandigen Gründen und flachen Höhlen, und in einer davon lagen menschliche Knochen.«
»Und weiter?«
»Nichts weiter.«
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