Das Jahr in dem ich beschloss meinen Grossvater umzubringen - Roman
der Zwischenzeit geändert hatte.
Die übereinander angebrachten goldglänzenden Firmenschilder neben dem gläsernen Büroeingang wirkten, als hätte jemand sein Kreditkartenetui aufgeklappt. Aus den Firmennamen ging nicht hervor, was produziert oder womit gehandelt wurde.
In der Eingangshalle des Gebäudes war ebenfalls alles weiß. Es passte eher zu einem Unternehmen, das medizinische Geräte herstellte. Die Frau am Empfang saß in einem elektrischen Rollstuhl. Sie trug einen weißen Hosenanzug, hatte langes blondes Haar, war stark geschminkt. Rosa und blau. Als ich das letzte Mal hier war, hatte es noch keinen gläsernen Empfangstresen gegeben, keinen Empfangsroboter. Und alles war gelb gestrichen gewesen.
»Mein Name ist Gordon Paulson. Ich habe eine Verabredung mit Martin Godin.«
Der Rollstuhl fuhr ein paar Zentimeter nach hinten, dann ruckte er zur Seite. Sie zog die rosafarbenen Lippen in die Breite. »Sind Sie sicher?«
»Ja.«
»Wir haben heute einen wichtigen Dreh, da ist er auf dem Set.«
»Er dreht noch Werbefilme?«
»Sie sind sein Bruder, nicht wahr?«
»Woher wissen Sie das?«
»Er hat sie angekündigt.«
»Er wusste, dass ich kommen würde?«
»Ich denke, Sie hatten einen Termin?«
»Nein. Ich dachte nur, es würde Sie einschüchtern.«
Sie fuhr den Rollstuhl weiter zurück, betrachtete mich von oben bis unten.
»Sie glauben, Sie können Krüppel einschüchtern?«
»So habe ich es nicht gemeint.«
»Ihr Bruder hat mich schon vor Ihnen gewarnt.«
»Wirklich?«
»Sein amputiertes Bein habe er Ihnen zu verdanken.«
»Ja, das behauptet er immer. Er mag mich nicht besonders.«
»Und Sie?« Sie fuhr mit surrendem Motor hinter dem gläsernen Tresen hervor. Der dünne Stoff ihrer weißen Hose lag über abgemagerten Beinen. Weiße Tennisschuhe.
»Es beruht auf Gegenseitigkeit. Wir mögen uns nicht.«
Sie zeigte auf eine kleine Sitzgruppe aus weißem Leder mit Chromstahl.
»Wollen Sie sich setzen? Ich kann es nicht verhindern, wenn Sie auf ihn warten wollen.«
»Er kommt also bald?«
»Ich habe nichts gesagt.« Sie fuhr mir voraus und deutete noch einmal auf das Sofa. »Ich glaube, ich sollte Ihnen nichts zu trinken anbieten. Ich kann dann immer noch behaupten, ich hätte versucht, Sie rauszuschmeißen.«
»Sie sind nicht gut auf ihn zu sprechen?« Ich setzte mich, sie fuhr ein Stück näher.
»Ich war lange Zeit in jedem seiner Filme beschäftigt. Man kann sagen, ich hatte sogar immer wieder Hauptrollen. Ich bin von der Hüfte ab gelähmt, aber jetzt hat er eine Jüngere ganz ohne Beine.«
»Ich verstehe das nicht. Was dreht er für Filme? Er hat doch für die Werbung gearbeitet.«
»Das ist lange her. Das Unternehmen heißt jetzt: KS Enterprise Production. Sie haben noch nie davon gehört? Er macht Millionen damit.«
Sie kam noch näher. »Sie kennen diese Filme wirklich nicht?«
Ich schüttelte den Kopf.
»Erotische Filme, Sexfilme mit Krüppeln.« Sie hob mit beiden Händen ein Bein und legte es über das andere.
»Ich wusste nicht, dass es solche Filme gibt. Aber es überrascht mich nicht, dass Martin so etwas produziert.«
Sie legte den Kopf schräg. »Wo leben Sie?« Sie warf ihre langen Haare zurück. »Sie glauben, Krüppel haben kein Recht auf Sex?«
»Doch, doch. Natürlich.« Ich erinnerte mich, dass mein Bruder, als er schon verheiratet war, immer noch Kleinanzeigen aufgab, in denen er behinderte Partner suchte.
Die Heirat mit Zora hatte mein Großvater vermittelt. Sie brachte eine kleine Tochter, Helen, mit in die Ehe. Der Vater war angeblich tödlich verunglückt. Ich bin überzeugt, die Ehe von Martin und Zora war ein reines Geschäft, bei dem mein Großvater in irgendeiner Form den Gewinn hatte und Martin viel Geld von ihm bekam. Obwohl Zora auf der Hochzeitsfeier den Eindruck vermittelte, als liebte sie Martin wirklich.
»Für wen werden diese Filme gedreht?«, fragte ich. »Behinderung schließt Sex nicht unbedingt aus, aber wenn mit Behinderten Sexfilme gedreht werden, ist es möglicherweise Pornografie, die sich Perverse anschauen.«
»Was denken Sie! Natürlich ist es so. Nicht der Zoo ist pervers, sondern seine Besucher.«
»Und gegen diese Form von Ausbeutung ...«
»Und das sagt jemand, der einem anderen aus lauter Lust das Bein abgefahren hat.« Sie lachte so sehr, dass sich der Rollstuhl vor und zurück bewegte. »Auch Krüppel müssen in dieser Gesellschaft von irgendetwas leben. Glauben Sie mir, jeder Behinderte, der hier als Pornodarsteller
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