Das Jahr in dem ich beschloss meinen Grossvater umzubringen - Roman
ich nicht.«
Eva schloss die Augen. »Ich muss es glauben.«
»Verdammt«, ich stand auf. »Ich will nicht mit dir verwandt sein. Ich meine, nicht diese Art von Verwandtschaft.«
27
Eva hatte ihre alte Sportkleidung wieder angezogen. Mit den nackten Füßen schob sie die Reste des Telefons zusammen. Sie sah mich nicht an, ging mit hochgerecktem Kopf durch den Raum. Mit den Fingern fuhr sie an der Tischkante entlang. Ihr Wutausbruch mit dem Telefon hatte zwei Kerben hinterlassen.
»Erinnerst du dich an deinen Urgroßvater, Jakob Godin? Wahrscheinlich nicht.«
Ich schüttelte den Kopf. »Manchmal glaube ich, mich zu erinnern. Er war mindestens einmal bei meinem Großvater, als ich auch dort war. Im Harz. Aber ich hab keine genaue Vorstellung mehr. Ich war vier oder fünf Jahre alt, als er verunglückte.«
»Zwei Männer landeten mit einem kleinen Flugzeug auf einer Weide. Ganz in der Nähe unseres Hauses. Die Leute in unserem Dorf dachten, es wäre eine Notlandung. Jakob Godin muss schon sehr alt gewesen sein. Trotzdem soll er das Flugzeug gesteuert haben. Ich war noch nicht auf der Welt. Meine Mutter hat es mir so erzählt.«
»Wo war das? Und wann?« Es hielt mich nicht mehr im Sessel. Ich ging in die Küche, goss mir ein Glas Wasser ein. Sie blieb im Wohnzimmer, hob die Stimme: »Dein Großvater William Godin war der zweite Insasse des Flugzeuges. Sie kamen ins Dorf, engagierten unsere ganze Familie. Manchmal denke ich, sie hatten uns schon vorher ausgesucht. Vielleicht kannte der Mann meiner Mutter die beiden. Manchmal fürchte ich, es war so. Er hat uns verkauft.
Jeder bekam eine Aufgabe. Die Frauen schoben das Flugzeug zwischen Büsche und Bäume. Die Kinder tarnten es. Die Männer trugen die Ausrüstung ins Haus. Jakob und William Godin übernachteten bei uns und wollten am nächsten Tag ins Gebirge. Vermutlich war das, was sie vorhatten, nicht legal. Meine Familie bekam sehr viel Geld von ihnen. Dafür hätten sie unser Land kaufen können. Meine Mutter ...«
Ich hob die Hände. »Ich weiß nicht, ob du mir das wirklich erzählen solltest. Ich meine, ob das gut ist für uns? Ich meine, was ergibt sich daraus?«
Sie wendete sich ab und redete weiter, als würde sie es nur sich selbst erzählen. »Am nächsten Tag führten die Männer meiner Familie die beiden ins Gebirge. Jakob Godin hatte dort oben vom Flugzeug aus etwas gesehen. Er behauptete, es handle sich um eine seltene Pflanze. Sie sei sehr viel wert, weil ihr Saft ein Heilmittel enthalte, für das man in Europa viel Geld bezahle.«
»Sag mir nur eins: Wo lag euer Dorf?«
»Am ersten Tag kamen sie enttäuscht zurück. Niemand aus unserer Familie glaubte die Geschichte von den Pflanzen. Meine Mutter schon gar nicht. Sie kannte sich aus. Es ging um etwas anderes, denn die beiden Männer hatten vor allem Steine und Felsen untersucht. Aber auch der nächste Tag brachte sie nicht ans Ziel. Auf dem Rückweg verletzte sich William Godin am Fuß. Am nächsten Tag blieb er zurück in der Obhut meiner Mutter. Im Dorf kam jeder zu ihr, wenn er krank war oder eine Verletzung hatte. Von meiner Urgroßmutter hatte sie alles über heilende Kräuter gelernt.
Jakob Godin stieg wieder in das Gebirge. Die Männer meiner Familie kamen abends allein nach Hause. Dein Urgroßvater hatte sie zurückgeschickt. Nur der Mann meiner Mutter begleitete ihn weiter auf einen Berg hinauf. Sie wollten in drei Tagen heimkehren. Aber sie kamen nicht. Was mir erst jetzt seltsam erscheint, ist, dass wohl niemand nach ihnen gesucht hat. Jedenfalls erzählte mir meine Mutter nur, dass nach einer Woche plötzlich Jakob Godin mit zerrissener Kleidung und blutenden Wunden vor unserem Haus stand. Er erzählte, mein Vater sei auf einem steilen Pfad abgestürzt. Er habe ihn zu retten versucht, sei aber selber gestürzt und habe sich zeitweilig verirrt.«
»Wann war das und wo?«
»Ich glaube, meine Mutter wusste, dass es ein Mord war. Sie beteiligte sich nicht an der Suche nach ihrem Mann. Jakob Godin beschrieb ungefähr, wo der Absturz geschehen war. Ein Suchtrupp machte sich auf den langen Weg. Sie gingen davon aus, dass er überlebt und sich vielleicht verirrt hatte, deshalb suchten sie tagelang in einem großen Gebiet. Sie fanden ihn nicht, auch nicht seine Leiche. Meine Mutter erzählte, Jakob Godin habe sie überredet, mit in das Flugzeug zu steigen und über das Gebirge zu fliegen. Es war ihr erster Flug. Aber auch sie entdeckte kein Zeichen von dem Verschwundenen. Neun Monate
Weitere Kostenlose Bücher