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Das Jahrhundert der Hexen: Roman

Das Jahrhundert der Hexen: Roman

Titel: Das Jahrhundert der Hexen: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sergej Dyachenko , Marina Dyachenko
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…«
    »Fälle? Wie viele?«
    »Zehn, Patron.«
    »Wie viele?!«
    »Zehn Fälle von Beulenpest, davon bereits drei mit tödlichem Ausgang … Die Sanitätstruppe schlägt Alarm, Rjanka ist zum Sperrgebiet erklärt worden … Die Information ist bereits zur Presse durchgesickert …«
    »Weiter.«
    »Lynchjustiz.«
    Klawdi klemmte sich den Hörer mit der Schulter ans Ohr. In der Küche pfiff der Kessel immer lauter.
    »Wo?«
    »Auf dem zentralen Platz, Patron. In ihrer Panik haben die Menschen dort einen Scheiterhaufen errichtet. Unsere Leute sind erst eingetroffen, als das Feuer schon brannte.«
    »Das ist bedauerlich.« Klawdis Stimme klang jetzt unbeteiligt und sachlich. »Es ist höchst bedauerlich, dass unsere Leute in Rjanka so lahm sind. Wer ist die Tote?«
    »Eine Hexe. Aber … eine nicht initiierte, Patron. Ob sie etwas mit der Epidemie zu tun hat …«
    »Festnahmen?«
    »Fünfzehn Menschen. Der Kurator des Kreises Rjanka zeigt Härte … sozusagen, um die Wogen zu glätten …«
    »Der Kurator des Kreises Rjanka ist nach Wyshna abzuberufen«, erklärte Klawdi gedehnt. »Als Nachfolger soll … Wenn ich mich recht erinnere, arbeitet Juryz in diesem Kreis?«
    Sein Stellvertreter hüllte sich in Schweigen. »Das dürfte dem Rat der Kuratoren kaum gefallen …«, brachte er dann vorsichtig, jedes Wort auf die Goldwaage legend, hervor. »Sie beschweren sich ohnehin bei jeder Sitzung darüber, dass Wyshna überall seine eigenen Leute hinschickt.«
    Klawdi prustete los. Sein Gelächter war auch am anderen Ende der Leitung gut zu hören, worauf Hljur sich rasch auf die Zunge biss.
    »Alle Inhaftierten …« Klawdi ließ den Clip seines goldenen Füllers klackern. »Alle Inhaftierten sind in die Stadt zu bringen. Zu mir.«
    »Ja, Patron«, murmelte der Stellvertreter etwas zu hastig, als dass es mit seiner Position in Einklang zu bringen gewesen wäre.
    Gedankenversunken betrachtete Klawdi die prächtigen Weinranken vor dem Fenster.
    Wenn er das doch nur geahnt hätte. Aber gut, noch konnte er das alles akzeptieren. Noch – denn es hätte auch wesentlich schlimmer aussehen können.
    »Ich komme jetzt gleich rüber, dann brauche ich genaue Informationen, Hljur. Ich will wissen, wo in Rjanka die Brunnen liegen … Warum haben Sie mir bisher eigentlich noch nicht mitgeteilt, dass der Herzog angerufen hat?«
    »Patron …« Sein Stellvertreter verstummte. »Woher wissen Sie das?«
    »Kommen Sie schon!« Klawdi lachte. »Jedes Mal, wenn wir versagt haben … Und Ihnen ist doch klar, Hljur, dass alles, was geschehen ist, auf unser extremes Versagen zurückgeht, oder?«
    »Ja, Patron.« Der Stellvertreter schluckte so heftig, dass es in der Leitung zu hören war. »Ja, natürlich.«
     
    (Djunka. Juni)
    Am Tag der Beerdigung nahm ihn Djunkas Schwester zur Seite und bat ihn, die tiefliegenden, geröteten Augen fest auf ihn gerichtet: »Reiß dich zusammen, Klawdi. Du führst dich auf, als wärst du der Einzige, der Dokija geliebt hat.«
    Er sank in sich zusammen, als hätte sie ihn mit einem Beil geschlagen. Dann nickte er.
    Die letzten zweiundsiebzig Stunden waren zu einem einzigen, nicht enden wollenden Tag verschmolzen. Drei Mal war die Nacht heraufgezogen. Er hatte auf Fragen geantwortet, während seine Freunde, Mitschüler und ihm völlig unbekannte Menschen hinter seinem Rücken beredte Blicke gewechselt und miteinander getuschelt hatten: Das ist der Junge, mit dem sie an dem Tag am Strand war. Das ist der Junge …
    »Sie kann nicht einfach ertrunken sein! Sie schwamm wie ein … Das ist unmöglich!«
    »Beruhige dich, Starsh. Ihr Körper wies keinerlei Spuren von Gewaltanwendung auf. Ein Krampf muss ihr zum Verhängnis geworden sein.«
    Ein Krampf.
    »Klaw, komm schon, du darfst dich nicht so quälen. Sieh zu, dass du deine Prüfungen bestehst, versuch, auf andere Gedanken zu kommen …«
    »Klaw, verzeih, aber habt ihr beide … und sei es auch nur ein Mal … habt ihr?«
    Jetzt wartete er, bis sich der Friedhof leerte.
    Die Menschen, die eben noch die gramgebeugte Prozession gebildet hatten, strömten langsam dem Ausgang zu. Nur Juljok Mytez blieb zurück, um verzweifelt nach Klaw Ausschau zu halten. Als er ihn nicht fand, rannte er zu den anderen, die gleichzeitig bedrückt und überdreht wirkten. Djunkas Mutter entschwand bereits seinem Blick – gerade schlug hinter ihr eine Autotür zu.
    Vor vielen Stunden hatte Klaw aufgehört, sich für diese Menschen zu interessieren. Reiß dich zusammen –das hieß

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