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Das Jahrhundert der Hexen: Roman

Das Jahrhundert der Hexen: Roman

Titel: Das Jahrhundert der Hexen: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sergej Dyachenko , Marina Dyachenko
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und es gab nur noch Kreise, bunte Kreise, und ein fernes Gebrabbel, das Klackern von Ballettschuhen auf dem Parkett.
    Irgendwann wurde ihr klar, dass sie wie angewurzelt dastand, verkrallt in den linken Arm des Inquisitors. Und dieser Arm war aufs Äußerste angespannt.
    »Oh!« Sie löste die Finger, trat zur Seite und wusste nicht, wie sie sich entschuldigen sollte. »Ich bin aber auch eine Idiotin. Tut mir leid.«
    Lautlos fuhr der Dienstwagen vor. Die Tür öffnete sich.
    »Verzeihen Sie mir … es tut mir wirklich leid. Ich weiß auch nicht … Hat es wehgetan?«
    »Ja«, erklärte der Inquisitor nach kurzem Schweigen. »Aber es kommt immer darauf an, womit du es vergleichst. Steig ein!«
    Der Fahrer schielte erstaunt zu ihr hinüber. Oder kam ihr das nur so vor?!
    Die nächtliche Stadt. Ein Lichterkarussell. Sie blinzelte und erlitt einen neuerlichen Schwindelanfall. Was war bloß mit ihr los? Und wo war das Buch? Hatte sie es etwa auf dem Sofa im Vorzimmer liegen lassen? Wie dumm!
    »Wir wissen, dass jede Frau eine Hexe zur Welt bringen kann. Immer noch hält sich die Legende, die entsprechende Empfängnis sei nur während eines Hexensabbats möglich respektive der Hexensabbat sei allein dafür gedacht, in einen noch leeren Leib den Samen einer zukünftigen Hexe zu pflanzen.«
    Ywha seufzte mehrmals.
    »Ist dir nicht gut?«, fragte der Inquisitor, ohne ihr den Kopf zuzuwenden.
    Auch sie sah ihn nicht an, als sie nickte.
    »Nach allen Regeln der Kunst müsstest du eigentlich ein paar Stunden bewusstlos sein … Zumindest sind deine Freundinnen, die aus dem Opernhaus eine ausgebrannte Ruine gemacht haben, bisher noch nicht wieder zu sich gekommen.«
    Ywha schluckte. Daran wollte sie lieber nicht zurückdenken.
    Im Hof des Hauses am Platz des Siegreichen Sturms führte die Dame ihren Hund spazieren. In der Wohnung im ersten Stock beendete die fröhliche Haushälterin gerade ihre Arbeit. Der Blick, den sie für Ywha übrig hatte, ließ keine Zweifel aufkommen.
    Als Ywha sie bemerkte, stellte sie sich auf die Zehenspitzen, um den Inquisitor bittend anzusehen. »Klären Sie sie auf … Sonst macht sich die arme Frau noch Sorgen, weil sie glaubt, Sie hätten eine heruntergekommene und hässliche Freundin. Sie hat ja keine Ahnung, weshalb sie mich hergebracht haben.«
    Eine Weile sah ihr der Inquisitor abwägend in die Augen. Dann verzogen sich seine Lippen zu einem Lächeln. »Wäre dir das peinlich? Wenn sie glaubt, du seist meine Freundin?«
    »In Ihrer Position sollten Sie lieber eine gepflegtere Freundin haben«, erwiderte Ywha. »Oder nicht?«
     
    (Djunka. April)
    Der alte Lum sprach mit einer Frau. Aus der Ferne glaubte Klaw, es handle sich um Djunkas Mutter. Erst nach einem gewaltigen Schweißausbruch erkannte er seinen Fehler. Djunkas Mutter war jünger und kantiger, diese Frau wirkte hingegen so müde und aufgeschwemmt wie eine niedergebrannte Kerze. Der Lum redete in einem fort. Die Frau antwortete zögernd, nickte kaum mit dem schweren Kopf und schien die hängenden Schultern leicht durchzudrücken. Vielleicht täuschte sich Klaw jedoch auch.
    Dann gab die Frau dem Alten kraftlos die Hand, hievte sich mühevoll von der Bank hoch und ging davon, wobei die Reisetasche in ihrer herabhängenden Hand fast den Boden berührte. Der Lum schaute ihr noch ein Weilchen nach, bevor er sich umdrehte. Neben ihm stand reglos ein verschlossener, nervös schweigender Junge.
    Drei Minuten lang beobachteten beide ein großes Eichhörnchen, das den dunklen Stamm einer Eiche in Spiralen erklomm.
    »Ich brauche Trost«, sagte der Junge tonlos.
    »Ich bin hier, um zu trösten«, erwiderte der Lum achselzuckend. »Aber dir werde ich wohl kaum helfen können … Klawdi.«
    »Versuchen Sie es doch wenigstens«, bat der Junge leise. »Wohin sollte ich denn sonst gehen?«
    Der Lum schwieg und ließ sich gegen die Lehne der Bank sinken. »Ich habe dich gewarnt«, sagte er schließlich, wobei er dem weghuschenden Eichhörnchen nachsah. »Aber du wolltest nicht auf mich hören.«
    »Stimmt«, gab Klaw zu. »Ich konnte nicht auf Sie hören … Wenn das alles noch einmal geschähe …« Er erschauderte. »… wenn das alles noch einmal geschähe, würde ich wieder nicht auf Sie hören.«
    »Schade«, bemerkte der Alte beiläufig. »Du bist stärker als viele andere … und du bist gleichzeitig unverzeihlich schwach.«
    »Worin besteht eigentlich meine Schuld?«, ereiferte sich Klaw. »Darin, dass ich sie geliebt habe? Sie immer noch

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