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Das Janusprojekt

Das Janusprojekt

Titel: Das Janusprojekt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philip Kerr
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Vettel sichtlich angewidert. «Nach all den Jahren. Nach allem, was Sie getan haben. Geschämt hat sie sich für Sie, Ihre Mutter. Geschämt, dass ein Grün so etwas macht. Eine Schande. Jawohl, das haben Sie über Ihre Familie gebracht. Schande. Ihr Vater hätte es Ihnen mit der Reitpeitsche gegeben.»
    Ich murmelte beschwichtigend, dass das alles doch sehr lange her sei, und ging dann schleunigst zum Haupttor zurück, wo ich den Ami mit dem Wagen hatte warten lassen. Trotz der Eiseskälte war auf dem Friedhof eine Menge los. Es fanden noch andere Beerdigungen statt, und etliche Leute gingen den gleichen Weg wie ich. Ich beachtete sie nicht weiter. Und auch den IP-Jeep nicht, der kurz hinter dem Cadillac parkte. Ich sprang in den Wagen, und der Amerikaner preschte davon wie ein gejagter Verbrecher.
    «Was ist denn los, Menschenskind?», rief ich, als ich es halbwegs geschafft hatte, mich auf dem Sitz zu halten. «Ich habe an einer Beerdigung teilgenommen, nicht an einem Banküberfall.»
    Der Fahrer, fast noch ein Junge mit Igelhaaren und Ohren wie die Henkel eines Sportpokals, deutete mit dem Kopf auf den Rückspiegel. «Internationale Patrouille», sagte er in passablem Deutsch.
    Ich drehte mich um. Kein Zweifel, der Jeep verfolgte uns. «Was wollen die denn?», rief ich, während er mit Vollgas von der Simmeringer in eine kleine Seitenstraße schlingerte.
    «Entweder sind sie aus irgendeinem Grund hinter Ihnen her, Buddy », sagte er. «Oder es geht um mich.»
    «Sie? Was haben Sie denn ausgefressen?»
    «Das Benzin in diesem Wagen ist PX», brüllte mein Fahrer. «Nur für Mitglieder der Besatzungstruppen. Und der Wagen genauso. Und die Zigaretten und der Whiskey und die Nylons im Kofferraum auch.»
    «Na, toll», sagte ich. «Besten Dank. Ärger mit der Polizei hat mir noch gefehlt, nachdem ich gerade meine Mutter begraben habe.» Ich sagte es einfach nur so, um ihm ein schlechtes Gewissen zu machen.
    «Keine Bange», erwiderte er mit einem breiten Zahnpastareklamegrinsen. «Die müssen uns erst mal kriegen. Und einem Jeep mit vier Elefanten drin ist dieser Wagen hier allemal überlegen. Solange sie nicht über Funk einen zweiten Wagen rufen, der uns abfängt, hängen wir sie garantiert ab. Außerdem fährt den Jeep da ein Amerikaner. Das ist Vorschrift. Unser Fahrzeug, unser Fahrer. Und Amerikaner fahren normalerweise nicht wie die Irren. Wenn der Russe am Steuer säße, hätten wir vielleicht ein Problem. Die Russen fahren alle wie der Teufel.»
    Da ich schon mal von einem Russen gefahren worden war, wusste ich, dass er nicht übertrieb.
    Wir rasten von Osten her in Richtung Stadtzentrum. Der Jeep blieb bis zur Bahnlinie in Sicht, dann hatten wir ihn abgehängt.
    «Hier», sagte ich und warf ein paar Scheine auf den Rücksitz, während wir um den Modenapark schlingerten. «Lassen Sie mich da an der Ecke raus. Den Rest gehe ich zu Fuß. Das halten meine Nerven nicht aus.»
    Ich sprang hinaus, knallte die Tür zu und sah den Cadillac mit quietschenden Reifen durch die Zaunergasse davonschießen. Ich ging zu Fuß hinterher bis zum Stalinplatz und dann die Gusshausstraße hinunter zu meinem Hotel. Meinem Gefühl nach waren es verdammt lange Stunden gewesen. Aber mein Tag hatte kaum erst begonnen.
    Ich nahm ein leichtes Mittagessen zu mir und ging dann auf mein Zimmer, um mich noch etwas hinzulegen, ehe ich Vera Messmann auf der Bank treffen würde. Als ich mich gerade auf dem Bett ausgestreckt hatte, klopfte es an der Zimmertür. In der Annahme, es sei das Zimmermädchen, öffnete ich. Den Mann, dem ich mich gegenübersah, erkannte ich von der Beerdigung wieder. Im ersten Moment dachte ich, er wolle mir auch noch eine kleine Standpauke halten, von wegen der Schande, die ich über die Grüns gebracht hatte. Doch der Mann zog höflich den Hut und hielt ihn vor sich, die Krempe in beiden Händen wie die Zügel eines Ponywägelchens.
    «Ja?», sagte ich. «Was wünschen Sie?»
    «Gnädiger Herr, ich war der Butler der Mutter des gnädigen Herrn», sagte er mit einem Akzent, den ich für ungarisch hielt. «Tibor, gnädiger Herr. Tibor Medgyessi. Dürfte ich Sie einen Augenblick sprechen, gnädiger Herr?» Er blickte nervös den Hotelflur entlang. «Unter vier Augen? Nur ein paar Minuten, wenn der gnädige Herr gestatten.»
    Er war groß und kräftig gebaut für sein Alter, das ich auf etwa fünfundsechzig schätzte. Mindestens. Er hatte volles, lockiges, weißes Haar, das aussah, wie von einem Schafsrücken geschoren.

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