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Das Janusprojekt

Das Janusprojekt

Titel: Das Janusprojekt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philip Kerr
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leicht.»
    Ich folgte ihr ins Schlafzimmer. «Von wegen deiner humanistischen Bildung», sagte ich.
    «Was ist damit?»
    «Was ist eigentlich aus Kassandra geworden?»
    «Die Griechen haben sie aus dem Tempel der Athene geschleift und vergewaltigt», sagte sie und stieß die Tür mit dem Fuß zu. «Also, ich bin ganz und gar willig.»
    «Ganz und gar willig klingt ganz und gar prima», sagte ich.
    Sie ließ ihr Kleid an sich hinabgleiten, und ich trat ein Stück zurück, um sie besser sehen zu können. Berufsbedingte Umgangsformen, könnte man sagen. Sie hatte eine prachtvolle, wohlproportionierte Figur. Ich kam mir vor wie Kepler beim Betrachten seines Goldenen Schnitts. Nur dass ich mehr Spaß haben würde, als er jemals hatte. Er hatte wahrscheinlich nie eine Frau in einem erstklassigen Korsett gesehen. Und ich wäre in der Schule besser in Mathematik gewesen.

30
    Ich blieb über Nacht, und das war auch gut so, denn kurz nach Mitternacht war auf einmal ein Einbrecher in Veras Wohnung.
    Nach unserer Frühabendvorstellung versuchte sie mich gerade dazu zu bringen, noch eine Spätvorstellung einzulegen, als sie plötzlich auf mir erstarrte. «Horch», flüsterte sie. «Hörst du das?» Und als ich nichts weiter hörte als meinen eigenen beschleunigten Atem, setzte sie hinzu: «Da ist jemand im Wohnzimmer.» Sie legte sich neben mich, zog sich die Bettdecke bis ans Kinn und wartete, dass ich ihr zustimmte.
    Ich lag ganz still, bis ich Schritte auf dem Parkett hörte, und sprang dann aus dem Bett. «Erwartest du jemanden?», fragte ich, während ich in meine Hosen fuhr und mir die Hosenträger über die nackten Schultern streifte.
    «Natürlich nicht», zischte sie. «Es ist Mitternacht.»
    «Hast du irgendeine Waffe?»
    «Du bist doch der Detektiv. Hast du keine Pistole?»
    «Manchmal», sagte ich. «Aber nicht, wenn ich durch die russische Zone fahren muss.»
    Ich schnappte mir einen Hockeyschläger und stieß die Tür auf. «Wer ist da?», sagte ich laut und tastete nach dem Lichtschalter.
    Etwas bewegte sich im Dunkeln. Ich hörte jemanden in die Diele und zur Wohnungstür hinausschleichen. Ein leiser Geruch nach Bier, Tabak und Rasierwasser stieg mir in die Nase, dann rannte jemand die Treppe hinunter. Ich spurtete hinterher und kam bis zum Treppenabsatz im ersten Stock, ehe ich, barfuß wie ich war, ausrutschte und hinfiel. Ich rappelte mich wieder hoch, humpelte die letzte Treppe hinunter und lief auf die Straße hinaus, wo ich gerade noch einen Mann um die Ecke Türkenstraße verschwinden sah. Wenn ich Schuhe angehabt hätte, wäre ich vielleicht hinterhergerannt, aber mit bloßen Füßen konnte ich bei dem Schnee und Eis nicht mehr tun, als umzukehren.
    Als ich oben ankam, stand Veras Nachbarin vor ihrer Wohnungstür. Sie beäugte mich argwöhnisch, ja, giftig, was ziemlich dreist war, da sie aussah, als hätte sie selbst Frankensteins Monster vor dem Altar stehenlassen. Sie hatte zwar die passende Nofretete-Frisur, die reptilienklauenartigen Hände und ein totenhemdartiges, weißes Nachtgewand, aber nicht mal ein komplett verrückter Wissenschaftler hätte sich getraut, eine so zwergenhafte Kreatur mit einem Schnurrbart als Frau zu verkaufen.
    «Fräulein Messmann», erklärte ich lahm. «Da war ein Einbrecher in ihrer Wohnung.»
    Die Kreatur sagte nichts, sondern zuckte nur zusammen wie ein verschreckter Vogel, flitzte dann in ihre eigene Wohnung und knallte die Tür so heftig hinter sich zu, dass es durch das eisige Treppenhaus hallte wie durch eine Gruft.
    Drinnen fand ich Vera in einem Morgenrock vor, sichtlich beunruhigt.
    «Er ist mir entkommen», sagte ich zitternd.
    Sie zog den Morgenrock aus, legte ihn mir um und ging dann nackt und ohne jede Scham in die Küche. «Ich mache uns Kaffee», sagte sie.
    «Fehlt irgendwas?», fragte ich, während ich ihr folgte.
    «So weit ich sehe, nicht», sagte sie. «Meine Handtasche war im Schlafzimmer.»
    «Gibt es hier irgendwas Spezielles, worauf er aus gewesen sein könnte?»
    Sie richtete Kanne und Filter und setzte Wasser auf. «Nichts, was leicht zu tragen wäre», sagte sie.
    «Ist hier schon mal jemand eingebrochen?»
    «Noch nie», sagte sie. «Nicht mal die Russen. Das ist eine sehr sichere Gegend.»
    Ich beobachtete geistesabwesend, wie sie sich in der Küche umherbewegte, und musste plötzlich an das denken, was Kassandra widerfahren war. Ich beschloss, lieber nicht zu erwähnen, dass der Einbrecher auch etwas anderes gewollt haben konnte als

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