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Das Janusprojekt

Das Janusprojekt

Titel: Das Janusprojekt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philip Kerr
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stehlen.
    «Komisch, dass das gerade dann passiert, wenn du hier bist», sagte sie.
    «Du hast mich doch überredet, hierzubleiben», sagte ich. «Schon vergessen?»
    «Entschuldige.»
    «Schon gut.» Ich ging wieder in die Diele hinaus, um das Türschloss genauer zu inspizieren. Es war ein Sicherheitsschloss. Ein sehr gutes. Aber er hatte es auch gar nicht zu knacken oder aufzubrechen brauchen. Mir war sofort klar, wie der Mann in ihre Wohnung gekommen war. Der Schlüssel hing an einer Schnur unterhalb des Briefschlitzes. «Er ist gar nicht eingebrochen», erklärte ich. «Brauchte er gar nicht. Hier, schau.»
    Sie kam in den Flur und sah zu, wie ich die Schnur von der Tür abriss. «Nicht gerade das Sinnvollste, was eine alleinlebende Frau mit ihrem Wohnungsschlüssel machen kann», sagte ich.
    «Nein», sagte sie verlegen. «Normalerweise lege ich immer den Riegel vor, wenn ich ins Bett gehe. Aber heute muss ich wohl irgendwas anderes im Kopf gehabt haben.»
    Ich verriegelte die Tür. «Ich sehe schon, ich muss dir eine Privatstunde in Verbrechensvorbeugung geben», sagte ich und führte sie wieder ins Schlafzimmer.

31
    Nach einem spärlich besuchten Gottesdienst in der Karlskirche am Karlsplatz folgte der Trauerkorso Elisabeth Grüns Sarg langsam die Simmeringer Hauptstraße hinunter, zum Zentralfriedhof. Ich legte die Strecke, wie auch schon den Hinweg zu der Barockkirche mit dem weithin sichtbaren grünen Kupferdach, in einem Cadillac Fleetwood zurück, gefahren von einem amerikanischen Soldaten, der nebenbei von einer PX-Autowerkstatt in der Rötzergasse aus einen Mietlimousinendienst betrieb. In Wien macht jeder irgendetwas nebenbei. Außer den Toten vielleicht. Trotzdem ist Wien wohl der beste Ort der Welt, um tot zu sein. Der Zentralfriedhof im Elften Bezirk ist mit seinen 200 Hektar und zwei Millionen Bewohnern eine Stadt für sich, eine Nekropole mit Bäumen und Blumen, eleganten Alleen, hübschen Statuen und einer gediegenen Architektur. Wenn man das nötige Geld hat, kann man die Ewigkeit hier in einer monumentalen Pracht zubringen, die normalerweise nur Kaisern, Erbmonarchen und Satrapen mit einem starken Selbstverherrlichungsdrang vorbehalten ist.
    Die Familiengruft der Grüns war ein Bunker aus schwarzem Marmor, von der Größe eines Geschützturms auf der Bismarck. Auf dem Hauptteil des Mausoleums stand in dezenten Goldlettern «Familie Grün», und weiter unten waren die Namen diverser hier begrabener Grüns eingemeißelt, darunter auch der von Erichs Vater Friedrich. Die stufenförmige Fassade zierte eine spärlich bekleidete, weibliche Bronzefigur, die wohl vom Schmerz dahingestreckt sein sollte, aber irgendwie eher aussah, als hätte sie eine etwas zu anstrengende Arbeitsnacht im Oriental hinter sich. Die Versuchung, ihr einen warmen Mantel und eine Tasse starken, schwarzen Kaffee zu organisieren, war schon fast übermächtig.
    Die Gruft mochte ja nach den Maßstäben eines ägyptischen Pharaos bescheiden sein, aber mit ihren vier identischen Sphinxen – einer an jeder Ecke – hätte sie einem ganzen Wurf Ptolemäern sicher eine ansprechende Unterkunft geboten. Und als ich wieder aus ihrem weitläufigen Inneren auftauchte, nachdem ich Erichs Mutter die letzte Ehre erwiesen hatte, rechnete ich schon halb damit, vom Totengräber auf goldene Skarabäen und Lapislazulisplitter durchsucht zu werden. Aber stattdessen wurden mir so viele merkwürdige, misstrauische und sogar feindselige Blicke zuteil, dass man hätte meinen können, ich sei Mozart auf der Suche nach seinem anonymen Grab. Selbst der Priester, der die Beerdigung abhielt – und in seinem lila Umhang wie ein Petit Four im Schaufenster vom Demel aussah –, funkelte mich böse an.
    Ich hatte gehofft, anonym bleiben zu können, indem ich ein Stück Abstand zu den übrigen Trauergästen hielt und überdies eine Sonnenbrille trug – es war ein eiskalter, aber strahlend sonniger Tag. Dr.   Bekemeier wusste, wer ich war oder jedenfalls zu sein vorgab, und nur darauf kam es an. Aber ich hatte nicht damit gerechnet, dass eine von Elisabeth Grüns Hausangestellten wutentbrannt auf mich zustürzen würde, um mich wissen zu lassen, was sie davon hielt, dass Erich Grün sich überhaupt hierher wagte.
    Sie war rotgesichtig, knochig und schlecht gekleidet, wie ein Rinderrippstück in einem Sack, und beim Sprechen klapperte ihre Oberkieferprothese wie von einem kleineren Schädelbeben. «Sie haben die Stirn, hier aufzutauchen», sagte die alte

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