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Das Janusprojekt

Das Janusprojekt

Titel: Das Janusprojekt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philip Kerr
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waren Schritte zu hören. «Und schließen Sie lieber hinter mir ab», sagte ich und ging.
    Inzwischen war es dunkel, und es schneite wieder. Ich ging schnell runter zum Ring, wo ich ein Taxi zu meinem Hotel nahm. Natürlich konnte ich dort nicht mehr bleiben. Jetzt, wo ich wusste, dass sich die IP für Erich Grün und für Bernie Gunther interessierte. Ich würde meine Sachen zusammenpacken, meine Hotelrechnung bezahlen und dann in eine Bar gehen und mir Gedanken machen, was ich tun konnte.
    Das Taxi bog in die Wiedner Hauptstraße, und als es sich dem Hotel näherte, sah ich das IP-Fahrzeug schon vor dem Eingang stehen. Mein ohnehin nervöser Magen fühlte sich an, als rührte jemand mit einem langen Holzlöffel darin herum. Ich wies den Taxifahrer an, an der Ecke zu halten, zahlte und schlenderte dann unschuldig zur hintersten Reihe der kleinen Menschenmenge, die sich neben dem Hoteleingang versammelt hatte und offenbar darauf lauerte, eine Verhaftung zu sehen. Zwei Militärpolizisten sorgten dafür, dass niemand das Hotel Erzherzog Rainer betrat oder verließ.
    «Was ist denn hier los?», fragte ich einen der Neugierigen.
    Ein alter Mann, so dünn wie ein Pfeifenreiniger, mit einem Kneifer und einem schwarzen Homburg, antwortete mir. «Sie verhaften jemanden», sagte er. «Weiß aber nicht, wen.»
    Ich nickte unbestimmt und zog mich dann langsam zurück, sicher, dass dieses Aufgebot mir galt. Nach der Sache beim Friedhof bestand kaum Zweifel. Mir ein anderes Hotel zu suchen, hatte auch keinen Sinn. Wenn sie Erich Grün suchten, würden sie als Erstes die übrigen Hotels und Pensionen überprüfen. Dann die Bahnhöfe, die Busbahnhöfe und den Flughafen. Es wurde windig. Der Schnee auf meinem Gesicht fühlte sich an wie eisige Windpocken. Während ich so durch die dunklen Straßen lief, gejagt und ohne Zuflucht, kam ich mir vor wie Peter Lorre in M . Als hätte ich wirklich zwei Frauen ermordet. Allein, gehetzt, verzweifelt, durchgefroren. Aber wenigstens hatte ich Geld. Viel Geld. Mit Geld war ja vielleicht doch noch etwas zu machen.
    Ich überquerte den Karlsplatz und den Ring. In der Schwarzenbergstraße ging ich in ein ungarisches Lokal namens Czardasfürstin , um mir den nächsten Schritt zu überlegen. In der Bar spielte eine Kapelle mit einem Zitherspieler. Ich bestellte Kaffee und Kuchen und versuchte, mir trotz der sentimentalen, melancholischen Musik Gedanken zu machen. Mir wurde klar, dass ich ein Plätzchen zum Übernachten finden musste, wo mir keine Fragen gestellt wurden. Und ich sagte mir, dass ich nur einen Ort kannte, wo man ein Bett so leicht bekam wie Kaffee und Kuchen. Einen Ort, wo nur das Geld zählte. Es war ein bisschen riskant, nach nur zwei Jahren wieder dort hinzugehen. Aber was blieb mir anderes übrig? Risiken waren jetzt für mich so unvermeidlich wie das Altwerden, wenn ich Glück hatte, und der Tod, wenn ich keins hatte. Ich ging ins Oriental am Petersplatz.
    Mit seinen schummrigen Sitznischen, den spärlich bekleideten Mädchen, der abgewrackten Kapelle, den Nutten und Zuhältern erinnerte mich das Oriental stark an gewisse Berliner Nachtklubs in den dekadenten Hundstagen der Weimarer Republik. Es hieß, das Oriental sei bei den Wiener Nazibonzen ausgesprochen beliebt gewesen. Jetzt war es beliebt bei Schwarzmarktgrößen und der wachsenden Berliner Geheimdienstgemeinde. Neben der orientalischen Tanzrevue – einer Alibiveranstaltung, damit eine Menge Mädchen als Sklavinnen verkleidet herumlaufen konnten – gab es ein Casino, und wo ein Casino ist, sitzt immer auch das Geld locker. Und wo locker sitzendes Geld ist, sind immer auch lockere Damen. Als ich das letzte Mal hier gewesen war, waren es Amateurinnen gewesen – Witwen und Waisen, die es für Zigaretten und Schokolade machten oder einfach nur, um über die Runden zu kommen. Mit einem Mädchen dort hatte ich etwas gehabt. Ihr Name fiel mir allerdings nicht mehr ein. Seit ’47 hatte sich alles ziemlich verändert. Jetzt waren die Damen im Oriental hartgesottene Professionelle, die nur eins interessierte: Geld. Insofern schien die Atmosphäre das einzig echt Orientalische im Oriental.
    Ich ging eine Wendeltreppe hinunter, in den Nachtklub, wo die Kapelle amerikanische Melodien wie «Time Out for Tears» und «I Want to Cry» spielte. Sie mussten mich kommen gehört haben. Amerikanische Soldaten durften nicht ins Oriental, aber wer hätte sie schon abgewiesen, wenn sie ohne Uniform und mit reichlich Geld in den Taschen

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