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Das Janusprojekt

Das Janusprojekt

Titel: Das Janusprojekt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philip Kerr
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Meine Meinung über die Amerikaner wollte sie bestimmt nicht hören. «Wie wär’s, wenn wir zu Ihnen gingen?»
    «Hey, das ist mein Text», sagte sie. «Ich habe hier die Sache voranzutreiben, nicht du.»
    «Entschuldigung.»
    «Warum hast du’s denn so eilig?»
    «Ich war den ganzen Tag auf den Beinen», sagte ich. «Sie müssten doch wissen, wie das ist.»
    Mit einem Fingernagel von der Länge eines Brieföffners tippte sie auf die Cognacflasche. «Das ist kein Kräutertee, was du hier trinkst, Erich», sagte sie streng. «Der haut dich eher um, als dass er dich auf Touren bringt.»
    «Ich weiß, aber er macht die Messer, die ich in den letzten Stunden gewetzt habe, etwas stumpfer.»
    «Ach? Gegen wen hast du sie denn gewetzt?»
    «Gegen mich.»
    «So einer bist du also.»
    Ich schob die Hand über den Tisch und hob sie ein bisschen an, damit Lili den Hundertschillingschein darunter sehen konnte. «Ich brauche nur ein bisschen Betreuung, das ist alles. Nichts Perverses. Im Gegenteil, das wird der am leichtesten verdiente Hunderter sein, den Sie je in Ihrem BH stecken hatten.»
    Sie musterte den Hunderter, wie man eine Essenseinladung von einem Kannibalen mustern würde. «Du brauchst ein Hotel», sagte sie. «Keine Frau.»
    «Hotels mag ich nicht», sagte ich. «Hotels sind voller einsamer, fremder Menschen, die alle allein in ihrem Zimmer sitzen und warten, dass sie wieder nach Hause können. Das will ich nicht. Ich brauche einfach nur einen Ort, wo ich bis morgen früh bleiben kann.»
    Sie legte ihre Hand auf meine. «Ach, was soll’s?», sagte sie. «Mir tut’s gut, mal früh ins Bett zu kommen.»

35
    Lilis Wohnung war gleich auf der anderen Seite des Donaukanals, im Zweiten Bezirk, in der oberen Donaustraße, nicht weit vom Dianabad. Sie war klein, aber gemütlich, und ich schlief vergleichsweise friedlich an Lilis Seite, nur ab und an geweckt vom Tuten eines Kahns, der den Kanal zum Fluss hinunterschipperte. Am Morgen schien Lili freudig überrascht, dass ich wirklich nichts weiter von ihr wollte als ein Frühstück.
    «Also, das ist wirklich mal was Neues», sagte sie, während sie Kaffee machte. «Meine Anziehungskraft lässt wohl nach. Oder aber du sparst es dir für die Jungs auf.»
    «Weder – noch», sagte ich. «Und was würden Sie davon halten, sich noch einen Hunderter zu verdienen?»
    Bei Tag etwas weniger halsstarrig als bei Nacht, nahm sie das Angebot freudig an. Sie war im Grunde gar nicht übel. Ihre Eltern waren ’44 umgekommen, als sie gerade fünfzehn gewesen war, und alles, was sie besaß, hatte sie sich selbst erarbeitet. Das war gar keine seltene Geschichte, einschließlich des Teils mit den beiden Russen, die sie vergewaltigt hatten. Als hübsches Mädchen hatte sie noch Glück gehabt, dass es nur zwei gewesen waren. In Berlin kannte ich Frauen, die in den ersten Besatzungsmonaten bis zu fünfzig- oder sechzigmal vergewaltigt worden waren. Ich mochte Lili. Es gefiel mir, dass sie sich nicht beklagte. Und es gefiel mir auch, dass sie keine Fragen stellte. Sie war klug genug, um zu ahnen, dass ich mich vor der Polizei versteckte, und klug genug, nicht zu fragen, warum.
    Auf dem Weg zu ihrer Arbeitsstelle – es war das Schuhgeschäft Fortschritt in der Kärntnerstraße – zeigte sie mir einen Frisör, wo ich mich rasieren lassen konnte, da ich mein Rasierzeug mit allem übrigen im Hotel gelassen hatte. Die Reisetasche nahm ich mit. Ich mochte Lili, aber sie schien mir nicht dagegen gefeit, fünfundzwanzigtausend Schilling mitgehen zu lassen. Ich ließ mich rasieren und mir die Haare schneiden. In einem Herrengeschäft in der Innenstadt kaufte ich mir ein Hemd, Unterwäsche, Socken und ein Paar Stiefel. Es war wichtig, dass ich anständig aussah. Ich wollte auf die russische Kommandantura im ehemaligen Gebäude des Stadtschulrats, um dort die Akten über gesuchte Kriegsverbrecher einzusehen. Für mich, der ich bei der SS gewesen war, mich von einem russischen Gefangenentransport abgesetzt und einen russischen Soldaten getötet hatte – von den über zwei Dutzend NKWD-Leuten ganz zu schweigen –, war es schon ein beträchtliches Risiko, die Kommandantura auch nur zu betreten. Aber ich sagte mir, dass es immer noch weniger riskant war, als die entsprechenden Nachforschungen im IP-Hauptquartier anzustellen. Außerdem sprach ich fließend Russisch, kannte den Namen eines einflussreichen MWD-Obersts und besaß immer noch Inspektor Strauss’ Visitenkarte. Und wenn alles andere

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