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Das Janusprojekt

Das Janusprojekt

Titel: Das Janusprojekt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philip Kerr
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mit einem der beiden Männer im Zimmer gemein. Das letzte Mal hatte ich diesen Mann im Januar 1939 gesehen, und da hatte er zwischen Himmler und Heydrich gestanden. Ich wusste noch, wie ich gedacht hatte, dass er eigentlich ein ziemlich einfacher, intellektuell uninteressanter Mensch war, und selbst jetzt fiel es mir schwer zu glauben, dass er der meistgesuchte Mann in ganz Europa war. Äußerlich war er ziemlich unscheinbar. Er hatte ein scharfgeschnittenes Gesicht, engstehende Augen, leicht abstehende Ohren und über dem kleinen Himmlerbärtchen – immer ein Fehler – eine recht lange Nase, auf der eine Brille mit schwarzem Rahmen saß. Er sah aus wie das Klischee des jüdischen Schneiders, eine Charakterisierung, die er mit Sicherheit gehasst hätte, denn der Mann war Adolf Eichmann.
    «Meine Herren», sagte Pater Bandolini, an die beiden Männer gewandt, die da im Gästewohnzimmer des Klosters saßen. «Ich möchte Sie mit jemandem bekannt machen, der eine Zeitlang bei uns bleiben wird. Das ist Herr Doktor Hausner. Carlos Hausner.»
    Das war mein neuer Name. Pater Lajolo hatte mir erklärt, wenn das Kameradennetzwerk jemandem eine geeignete Identität für Argentinien beschaffe, sei es immer ratsam, einen Namen zu wählen, der sowohl auf eine argentinische als auch auf eine deutsche Abstammung hindeute. Also war ich jetzt Carlos. Ich hatte zwar nicht vor, in Argentinien zu landen, aber mit zwei Polizeibehörden auf den Fersen war ich kaum in der Position, über Namensfragen zu streiten.
    «Herr Doktor Hausner.» Pater Bandolini deutete mit der Hand in Eichmanns Richtung. «Das ist Herr Ricardo Klement.» Er deutete auf den zweiten Mann. «Und das ist Pedro Geller.»
    Eichmann verhielt sich, als hätte er mich noch nie gesehen. Er nickte knapp und schüttelte mir dann die Hand. Er sah erstaunlich alt aus. Meiner Schätzung nach musste er etwa zweiundvierzig sein, aber mit dem schütteren Haar, der Brille und dahinter dem müden, gehetzten Blick eines Tiers, das die Hunde auf seiner Fährte schon hecheln hört, wirkte er wesentlich älter. Er trug einen dicken Tweedanzug, ein gestreiftes Hemd und eine kleine Fliege, die ihm etwas von einem Buchhalter gab. Aber sein Händedruck hatte nichts Buchhalterhaftes. Ich hatte Eichmann früher schon die Hand gegeben, als seine Hände weich, fast zart gewesen waren. Jetzt hingegen waren sie hart und schwielig, als ob er sich seit Kriegsende seinen Lebensunterhalt mit irgendeiner Art von schwerer körperlicher Arbeit hätte verdienen müssen. «Sehr erfreut, Herr Doktor», sagte er.
    Der andere Mann war wesentlich jünger, besser aussehend und besser ausgestattet als sein berüchtigter Kumpan. Er trug eine teure Armbanduhr und goldene Manschettenknöpfe. Er war blond, mit klarblauen Augen, und seine Zähne sahen aus wie von einem amerikanischen Filmstar geborgt. Neben Eichmann schien er lang wie eine Fahnenstange. Wir gaben uns ebenfalls die Hand, und seine war, ganz im Gegensatz zu Eichmanns, wohlmanikürt und so weich wie die eines Gymnasiasten. Als ich Pedro Geller genauer musterte, kam ich zu dem Schluss, dass er bestimmt nicht viel älter als fünfundzwanzig war, und ich konnte mir schwer vorstellen, wie er mit achtzehn oder neunzehn ein Kriegsverbrechen verübt haben sollte, das ihn jetzt dazu zwang, unter einem anderen Namen nach Südamerika zu flüchten.
    Geller hatte ein Spanisch-Deutsch-Wörterbuch unterm Arm, und ein zweites lag aufgeschlagen auf dem Tisch, vor dem Sessel, in dem Eichmann – Ricardo Klement – gesessen hatte. Der Jüngere lächelte. «Wir haben gerade unseren Spanischwortschatz getestet», erklärte er. «Ricardo ist in Sprachen viel besser als ich.»
    «Ach ja?», sagte ich. Ich hätte erwähnen können, dass Ricardo auch Hebräisch konnte, ließ es aber lieber sein. Ich sah mich in dem Wohnzimmer um, registrierte das Schachbrett, das Monopolyspiel, die vielen Bücher, die Zeitungen und Zeitschriften, das neue General-Electric-Radio, den Tauchsieder und die Kaffeetassen, den vollen Aschenbecher und die Wolldecken – eine davon hatte Eichmann über den Beinen gehabt. Es war offenkundig, dass die beiden Männer viel Zeit in diesem Raum verbrachten. Eingeigelt. Verkrochen. Wartend. Auf einen neuen Pass oder eine Schiffspassage nach Südamerika.
    «Wir haben großes Glück, dass es hier im Kloster einen Priester aus Buenos Aires gibt», sagte der Pater. «Pater Santamaría bringt unseren beiden Freunden Spanisch bei und erzählt ihnen alles über

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