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Das Janusprojekt

Das Janusprojekt

Titel: Das Janusprojekt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philip Kerr
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Magazin heraus und vergewisserte sich, dass es voll war, ehe er mir die Waffe überreichte. «Hier», sagte er. «Nehmen Sie die. Benutzen Sie sie nur, wenn Sie unbedingt müssen.»
    «Danke, Pater», sagte ich.
    Er ging zur Hintertür der Sakristei, öffnete sie und trat in einen kleinen Durchgang hinaus, der unter einem Gerüst an der Außenwand der Kirche entlangführte. «Wenn Sie morgen wiederkommen», sagte er, «gehen Sie nicht durch die Kirche. Gehen Sie hier entlang und dann durch diese Tür. Sie wird nicht abgeschlossen sein. Kommen Sie einfach herein, nehmen Sie Platz und warten Sie.»
    «Ja, Pater.»
    «Dann bis morgen.»

38
    Am nächsten Tag wurde ich aus Wien hinausgebracht. Mein Fahrer war ein Deutscher namens Walter Timmermann. Er war zwar in Wien geboren, lebte aber in Pfungstadt bei Darmstadt. Er fuhr für die U. S. Army Bündel von Stars and Stripes , der amerikanischen Soldatenzeitung, von der Druckerei in Griesheim nach Salzburg und Wien. Der LKW war ein Dodge-Dreitonner mit Plane und Army-Lackierung, weshalb er kaum je von Militärpolizisten einer der vier Mächte kontrolliert wurde. Auf der Rückfahrt nach Deutschland nahm er unverkaufte Exemplare der letzten Ausgabe mit, damit sie eingestampft und wiederverwertet werden konnten. Und zwischen diesen Zeitungsballen versteckte ich mich, wenn wir von einer Besatzungszone in eine andere fuhren. Die übrige Zeit saß ich bei Timmermann im Führerhaus und hörte ihm zu. Er redete gern, weil er meistens allein fuhr und es auf der Straße manchmal schon ein bisschen einsam war. Mir war das ganz recht, denn ich hatte sowieso nicht viel zu sagen. Timmermann war im Krieg bei der Luftwaffe gewesen, in Griesheim, was der Grund dafür war, dass er jetzt dort wohnte. Und dass er seit gut zwei Jahren für die Amis fuhr.
    «Für die zu arbeiten, ist gar nicht schlecht, wenn man sie erst mal kennt. Die meisten von denen wollen einfach nur nach Hause. Von den vier Mächten sind sie die besten Arbeitgeber, aber wahrscheinlich die schlechtesten Soldaten. Ehrlich. Die kümmern sich um gar nichts. Wenn die Russen je kommen, werden sie einfach durch Deutschland durchspazieren. Die Sicherheitsvorkehrungen auf den amerikanischen Basen sind gleich null. Deshalb kann ich mir ja so viel erlauben. Diese Amis haben alle irgendwelche illegalen Geschäfte laufen. Schnaps, Zigaretten, Pornoheftchen, Medikamente, Damenstrümpfe, egal, was, ich hab schon alles für sie transportiert. Glauben Sie mir, Sie sind nicht die einzige illegale Fracht, die dieser LKW durch die Gegend kutschiert.»
    Er sagte nicht, welcher Art seine illegale Fracht diesmal war, und ich fragte ihn nicht danach. Aber ich fragte ihn, woher er Pater Lajolo kannte.
    «Ich bin katholisch, wissen Sie», sagte er. «Und der Pater hat uns getraut, meine Frau und mich, im Krieg, als er noch bei einer anderen Gemeinde war. St. Ulrich im Siebten Bezirk. Meine Frau Giovanna ist nämlich auch Halbitalienerin. Halb Österreicherin und halb Italienerin. Ihr Bruder war bei der SS, und Pater Lajolo hat nach dem Krieg geholfen, ihn aus Österreich rauszuschaffen. Jetzt lebt er in Schottland. Stellen Sie sich vor. Schottland. Er sagt, er spielt die ganze Zeit Golf. Die Kameradschaft hat ihm zu einem neuen Namen verholfen, einem Haus und einer Arbeitsstelle. Er ist jetzt Bergbauingenieur in Edinburgh. Da kommt doch keiner drauf, in Edinburgh nach ihm zu suchen. Und seither helfe ich dem Pater manchmal, wenn er einen alten Kameraden irgendwohin schaffen will, wo ihn die verdammten Russkis nicht kriegen. Mit Wien ist es aus, wenn Sie mich fragen. Wien wird’s genauso ergehen wie Berlin. Sie werden sehen. Eines Tages werden sie einfach mit ihren Panzern anrollen, und keiner wird einen Finger rühren, um sie aufzuhalten. Die Amis glauben nicht dran, dass das je passiert. Entweder sie glauben es nicht, oder es kümmert sie einen Dreck. Das wäre alles nicht passiert, wenn sie mit Hitler Frieden geschlossen hätten und uns nicht diese bedingungslose Kapitulation aufgezwungen hätten. Dann hätten wir jetzt noch ein Europa, das auch aussehen würde wie Europa und nicht wie die nächste Sowjetrepublik.»
    Es war eine lange Fahrt. Auf der Straße von Wien nach Salzburg war die Geschwindigkeit nur auf sechzig Stundenkilometer begrenzt, aber in den Dörfern und kleinen Städtchen konnten wir gerade mal zwanzig fahren. Nachdem ich mir stundenlang Timmermanns Ansichten über die Roten und die Amis angehört hatte, war mir irgendwann

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