Das Janusprojekt
danach, ihm eine Stars and Stripes ins Maul zu stopfen.
In Salzburg kamen wir auf die Autobahn nach München und konnten schneller fahren. Bald schon hatten wir die deutsche Grenze passiert. Wir fuhren erst nord- und dann westwärts, durch München. In München auszusteigen, hätte wohl wenig Sinn gehabt. Jacobs hatte garantiert dafür gesorgt, dass auch dort die Polizei schon auf mich wartete. Und bis mir die Kameradschaft eine neue Identität und einen neuen Pass besorgen konnte, war es wohl das Beste, ich blieb dort, wo sie mich hinbrachten. Wir fuhren durch Landsberg und dann nach Süden, nach Kempten im Allgäu. Meine Reise endete schließlich in einem alten Benediktinerkloster bei Kempten – verführerisch nah an Garmisch-Partenkirchen, das, wie mir Timmermann erklärte, nur etwa hundert Kilometer weiter westlich lag, und ich wusste, es würde nicht lange dauern, bis ich der Versuchung erliegen würde.
Das Kloster war ein imposanter, alter Bau mit rosagetünchten Außenwänden und zwei hohen, wie Pagodenspitzen aussehenden Türmen, die in der verschneiten Landschaft weithin sichtbar waren. Doch erst wenn man durchs Haupttor hineinfuhr, offenbarten sich die wahren Dimensionen dieser Anlage und zugleich der Reichtum und die Macht der katholischen Kirche. Dass es in einem so kleinen und abgelegenen Städtchen wie Kempten so ein riesiges Kloster gab, machte mir bewusst, über welche materiellen und personellen Mittel der Vatikan und somit auch die Kameradschaft verfügten. Und ich fragte mich, was die Kirche davon hatte, eine Rattenlinie für alte Nazis und flüchtige Kriegsverbrecher wie mich zu betreiben.
Der LKW hielt, und ich stieg aus. Ich befand mich auf einem Klosterhof, so groß wie ein Exerzierplatz. Timmermann führte mich durch ein Portal und eine Basilika von den Ausmaßen eines Flugzeughangars, mit einem Altar, den wohl allenfalls ein Kaiser des Heiligen Römischen Reiches für bescheiden erachtet hätte. Jemand spielte Orgel, und ein Knabenchor sang aufs lieblichste. Bis auf den intensiven Biergeruch in der Luft war die ganze Atmosphäre so heilig, wie es sich für einen solchen Ort gehörte. Ich folgte Timmermann in ein kleines Büro, wo uns ein Mönch erwartete. Er sah aus, als wüsste er ein gutes Bier zu schätzen. Pater Bandolini war ein Hüne mit einem dicken Bauch und den Händen eines tüchtigen Fleischers. Sein Haar war kurz und silbrig, was zu dem Grau seiner Augen passte. Sein Gesicht war so markant, als wäre es Bestandteil eines Totempfahls. Er empfing uns mit Brot, Käse, kaltem Braten, Gürkchen, einem Krug des im Kloster gebrauten Biers und ein paar warmen Begrüßungsworten. Während er mich nötigte, mich näher ans Feuer zu setzen, erkundigte er sich, ob unsere Fahrt schwierig gewesen sei.
«Keinerlei Probleme, Pater», sagte Timmermann, der sich bald darauf entschuldigte, weil er in der Nacht noch nach Griesheim zurückwollte.
«Pater Lajolo hat mir erzählt, Sie seien Arzt», sagte Pater Bandolini, als Timmermann weg war. «Stimmt das?»
«Ja», sagte ich und fürchtete schon, er würde mich bitten, irgendeine ärztliche Handlung vorzunehmen, die mich als Schwindler entlarven würde. «Aber ich praktiziere schon seit vor dem Krieg nicht mehr.»
«Sie sind doch Katholik?», fragte er.
«Natürlich», sagte ich, weil es mir das Beste schien, mich der Konfession derer, die mir halfen, anzuschließen. «Wenn auch kein besonders guter.»
Pater Bandolini zuckte die Achseln. «Was auch immer das sein mag», sagte er.
Ich erwiderte das Achselzucken. «Irgendwie dachte ich immer, Mönche seien doch wohl gute Katholiken.»
«Es ist leicht, ein guter Katholik zu sein, wenn man in einem Kloster lebt», sagte er. «Deshalb kommen ja die meisten von uns hierher. An einem Ort wie diesem gibt es nicht viele Versuchungen.»
«Ich weiß nicht», sagte ich. «Das Bier ist hervorragend.»
«Ja, nicht wahr?» Er grinste. «Es wird hier schon hundert Jahre nach demselben Rezept gebraut. Vielleicht ist das ja der Grund, weshalb viele von uns hier bleiben.»
Er hatte eine sanfte Stimme und eine sehr kultivierte Ausdrucksweise, weshalb ich zunächst dachte, ich hätte mich verhört, als er mir, nachdem ich mein Mahl beendet hatte, erklärte, das Kloster – und insbesondere der hier ansässige St.-Raphael-Verein – helfe schon seit 1871 katholischen Emigranten, unter denen auch viele nichtarische Katholiken gewesen seien.
«Sagten Sie ‹nichtarische Katholiken›?»
Er nickte.
«Ist
Weitere Kostenlose Bücher