Das Janusprojekt
das ein ausgefallener Kirchenterminus für Italiener?», fragte ich.
«Nein, nein. So nannten wir die Juden, denen wir geholfen haben. Viele konvertierten natürlich zum Katholizismus. Aber andere bezeichneten wir einfach nur als Katholiken, damit Länder wie Brasilien oder Argentinien sie leichter aufnahmen.»
«War das nicht ziemlich gefährlich?», fragte ich.
«Oh, ja. Sehr. Die Gestapo in Kempten hat uns fast zehn Jahre überwacht. Einer unserer Brüder starb sogar im Konzentrationslager, weil er Juden geholfen hatte.»
Ich fragte mich, ob ihm die Ironie der Tatsache bewusst war, dass er jetzt Erich Grün half, einem der übelsten Kriegsverbrecher. Wie sich unverzüglich herausstellte, war sie ihm bewusst.
«Es ist Gottes Wille, dass der St.-Raphael-Verein jenen hilft, die einst seine Verfolgung veranlasst haben», sagte er. «Außerdem ist der Feind jetzt ein anderer, der aber nicht minder gefährlich ist. Ein Feind, der Religion als Opium fürs Volk betrachtet.»
Aber das Verblüffendste kam erst noch.
Ich sollte nicht im Kloster selbst wohnen, bei den Mönchen, sondern im Krankentrakt, wo ich es, wie mir Pater Bandolini versicherte, wesentlich gemütlicher hätte. «Schon allein deshalb», sagte er, während er mich über den riesigen Hof führte, «weil es dort viel wärmer ist. In den Zimmern ist Heizen erlaubt. Es gibt bequeme Sessel, und die sanitären Einrichtungen sind weitaus besser als im Kloster. Ihre Mahlzeiten werden Ihnen gebracht, aber Sie sind jederzeit eingeladen, zur Messe in die Basilika zu kommen. Und lassen Sie mich wissen, wenn Sie beichten wollen. Ich schicke Ihnen dann einen Priester.» Er öffnete eine schwere Holztür und führte mich durch ein Kapitelhaus in den Krankentrakt. «Sie sind hier nicht allein», sagte er. «Wir haben im Moment noch zwei Gäste. Gebildete Herren wie Sie. Sie werden Ihnen sicher helfen, sich hier zurechtzufinden. Sie warten beide auf die Ausreise nach Südamerika. Ich werde Sie mit den Herren bekannt machen. Aber keine Angst, wir sind aus naheliegenden Gründen dagegen, dass hier alte Namen benutzt werden. Wenn es Ihnen recht ist, werde ich Sie also mit Ihrem neuen Namen vorstellen. Dem, der in Ihrem Pass stehen wird, wenn er dann schließlich aus Wien kommt.»
«Wie lange dauert das üblicherweise?», fragte ich.
«Ein paar Wochen kann es schon dauern», sagte er. «Schließlich brauchen Sie ja auch ein Visum. Wahrscheinlich wird es Argentinien sein. Im Moment gehen da, glaube ich, die meisten hin. Die dortige Regierung ist deutschen Auswanderern gegenüber sehr aufgeschlossen. Und dann brauchen Sie natürlich noch Schiffskarten. Auch die wird das Kameradennetzwerk beschaffen.» Er lächelte aufmunternd. «Ich glaube, Sie sollten sich darauf einstellen, mindestens ein, zwei Monate bei uns zu bleiben.»
«Mein Vater wohnt nicht weit von hier», sagte ich. «In Garmisch-Partenkirchen. Ich würde ihn gern nochmal sehen, ehe ich Deutschland verlasse. Das dürfte die letzte Gelegenheit sein.»
«Das stimmt, Garmisch ist nicht so weit weg. Luftlinie vielleicht sechzig, siebzig Kilometer. Wir beliefern den dortigen amerikanischen Stützpunkt mit unserem Bier. Für Bier haben sie wirklich etwas übrig, die Amis. Vielleicht können Sie ja bei der nächsten Lieferung mitfahren. Ich werde mal sehen, was ich tun kann.»
«Danke, Pater, das ist sehr nett von Ihnen.»
Sobald ich meine neue Identität und meinen Pass hatte, würde ich natürlich nach Hamburg gehen. Hamburg hatte ich immer schon gemocht. Und es war so weit weg von München und Garmisch und dem, was ich mir in Garmisch vorgenommen hatte, wie ich mich irgend absetzen konnte, ohne Deutschland tatsächlich zu verlassen. Um nichts in der Welt würde ich auf einen Dampfer in eine Bananenrepublik steigen, so wie die alten Kameraden, denen er mich vorstellen würde.
Pater Bandolini klopfte leise an eine Tür und öffnete sie dann. Dahinter lag ein gemütliches kleines Wohnzimmer, wo es sich zwei Männer mit Zeitungen in Sesseln bequem gemacht hatten. Auf dem Tisch stand eine Flasche Bourbon, und daneben lag ein angebrochenes Päckchen Regent. Ein gutes Zeichen, dachte ich. An der Wand hingen ein Kruzifix und ein Bild von Papst Pius XII. mit einer Kopfbedeckung, die Ähnlichkeit mit einem Bienenkorb hatte. Vielleicht waren es ja die kleine, randlose Brille und die asketischen Züge, aber irgendwie erinnerte mich dieser Papst immer ein bisschen an Himmler. Außerdem hatte er vom Gesicht her einiges
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