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Das Janusprojekt

Das Janusprojekt

Titel: Das Janusprojekt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philip Kerr
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Privatdetektiv geworden. Und ich hätte Frau Warzok wahrscheinlich abblitzen lassen, wenn sie mir erzählt hätte, ihr Mann habe persönlich nichts gegen Juden oder sei nur das Opfer «historischer Werturteile». Aber bislang hatte sie nichts dergleichen gesagt. Ganz im Gegenteil, wie sie jetzt noch einmal unterstrich.
    «Nein, nein, Friedrich ist ein schlechter Mensch», sagte sie. «So jemanden könnten sie nie amnestieren. Niemals, nach dem, was er getan hat. Und was auch immer auf ihn zukommen mag, er hat es verdient. Nichts wäre mir lieber, als zu wissen, dass er tot ist. Glauben Sie mir.»
    «Oh, das tue ich. Wollen Sie mir nicht verraten, was er getan hat?»
    «Vor dem Krieg war er im Freikorps, dann in der Partei. Dann ging er zur SS und brachte es zum Obersturmführer. Er wurde in das Lager Lemberg-Janowska in Polen versetzt. Und das war das Ende des Mannes, den ich geheiratet hatte.»
    Ich schüttelte den Kopf. «Ich habe noch nie von Lemberg-Janowska gehört.»
    «Seien Sie froh, Herr Gunther», sagte sie. «Janowska war nicht wie die anderen Lager. Anfangs war es ein Komplex von Fabriken, die zu den Deutschen Ausrüstungswerken in Lwow gehörten. Dort waren Zwangsarbeiter eingesetzt, Juden und Polen. 1941 waren es etwa sechstausend. Friedrich ging Anfang ’42 dorthin, und für ein paar Tage begleitete ich ihn. Der Lagerkommandant war ein Mann namens Wilhaus, und Friedrich wurde sein Stellvertreter. Es gab dort noch etwa zwölf bis fünfzehn weitere deutsche Offiziere. Aber die meisten SS-Leute, die Aufseher, waren Russen, die sich freiwillig zur SS gemeldet hatten, um dem Kriegsgefangenenlager zu entgehen.» Sie schüttelte den Kopf und drückte ihr Taschentuch zusammen. «Als Friedrich dann in Janowska war, kamen immer mehr Juden. Viel mehr Juden. Und der Ethos des Lagers – falls man denn in Zusammenhang mit Janowska ein solches Wort verwenden kann – änderte sich. Juden Munition herstellen zu lassen, war jetzt nicht mehr so wichtig, wie sie einfach umzubringen. Es war kein systematisches Töten wie in Auschwitz-Birkenau. Nein, hier war es ein individuelles Morden, wie es den SS-Leuten gerade beliebte. Jeder SS-Mann hatte seine bevorzugte Methode, Juden zu erledigen. Jeden Tag wurden Häftlinge erschossen, aufgehängt, ertränkt, gepfählt, aufgeschlitzt, gekreuzigt – jawohl, gekreuzigt, Herr Gunther. Das kann man sich schwer vorstellen, was? Aber es stimmt. Frauen wurden mit Messern erstochen oder mit Beilen in Stücke geteilt. Kinder dienten als Ziele bei Schießübungen. Ich habe gehört, dass Wetten abgeschlossen wurden, ob es möglich sei, ein Kind mit einem einzigen Axthieb in zwei Hälften zu spalten. Jeder SS-Mann musste eine Strichliste führen, wie viele Leute er getötet hatte, damit dann eine Gesamtliste erstellt werden konnte. Dreihunderttausend Menschen wurden auf diese Weise getötet, Herr Gunther. Dreihunderttausend Menschen, brutal und kaltblütig ermordet von lachenden Sadisten. Und einer dieser Sadisten war mein Mann.»
    Beim Sprechen sah sie zu Boden, und bald schon rollte eine Träne ihre feingeschnittene Nase entlang und tropfte auf den Teppich. Dann noch eine.
    «Irgendwann – wann genau, weiß ich nicht, weil Friedrich mir nach einer Weile nicht mehr schrieb – übernahm er die Lagerleitung. Und man kann wohl getrost davon ausgehen, dass er alles so weiterlaufen ließ. Einmal hat er mir dann doch geschrieben, um mir mitzuteilen, dass Himmler das Lager besucht habe und dass er mit dem Fortgang der Dinge in Janowska sehr zufrieden gewesen sei. Im Juli 1944 wurde das Lager von den Russen befreit. Wilhaus ist tot. Ich glaube, die Russen haben ihn getötet. Fritz Gebauer, der vor Wilhaus Lagerkommandant war, wurde in Dachau zu lebenslanger Haft verurteilt. Er sitzt in Landsberg. Aber Friedrich entkam nach Deutschland, wo er bis Kriegsende blieb. In dieser Zeit hatten wir ab und zu Kontakt. Aber unsere Ehe war am Ende, und wenn ich nicht katholisch wäre, hätte ich mich mit Sicherheit scheiden lassen.
    Ende ’45 ist er dann aus München verschwunden, und ich habe bis März ’46 nichts mehr von ihm gehört. Er war untergetaucht. Er hat sich an mich gewendet und mich um Geld gebeten, damit er sich absetzen konnte. Er hatte Verbindungen zu einer Organisation alter Kameraden – der ODESSA. Und er wartete darauf, dass sie ihm eine neue Identität verschafften. Ich habe eigenes Geld, Herr Gunther. Also erklärte ich mich einverstanden. Ich wollte, dass er für immer aus meinem

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