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Das Janusprojekt

Das Janusprojekt

Titel: Das Janusprojekt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philip Kerr
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man alles übersteht, nicht wahr?»
    «Wenn Sie’s sagen.»
    «Herr Gunther, ich möchte heiraten.»
    «Ist das nicht ein bisschen überstürzt, meine Liebe? Wir haben uns doch gerade erst kennengelernt.»
    Sie lächelte höflich. «Es gibt da nur ein Problem. Ich weiß nicht, ob der Mann, mit dem ich verheiratet bin, noch lebt.»
    «Wenn er im Krieg verschollen ist, Frau Warzok», sagte ich, «wäre es besser, Sie würden bei der Wehrmacht-Dienststelle nachfragen. Die ist in Berlin, Eichborndamm 179. Telefon 41904.»
    Die Telefonnummer wusste ich auswendig, weil ich beim Tod von Kirstens Vater nachgeforscht hatte, ob ihr Bruder noch am Leben war. Die Entdeckung, dass er 1944 gefallen war, hatte ihren fragilen Geisteszustand auch nicht gerade gefestigt.
    Frau Warzok schüttelte den Kopf. «Nein, das ist es nicht. Bei Kriegsende war er noch am Leben. Im Frühjahr ’46 waren wir in Ebensee in der Nähe von Salzburg. Wir haben uns nur kurz gesehen, verstehen Sie? Wir haben kein richtiges Eheleben mehr geführt. Seit Kriegsende nicht mehr.»
    «Haben Sie sich schon an die Polizei gewendet?»
    «Die deutsche Polizei sagt, es ist eine österreichische Angelegenheit. Die Salzburger Polizei sagt, ich soll es den Amerikanern überlassen.»
    «Die Amis werden auch nicht nach ihm suchen», sagte ich.
    «Um ehrlich zu sein, vielleicht doch.» Sie schluckte und holte dann tief Luft: «Ja, ich glaube, sie wären so interessiert an ihm, dass sie ihn suchen würden.»
    «Ach?»
    «Aber ich habe ihnen ja noch gar nichts von Friedrich erzählt. So heißt er. Friedrich Warzok. Er ist Galizier. Galizien gehörte bis zum preußisch-österreichischen Krieg von 1866 zu Österreich, danach erlangte es die Selbstverwaltung. Dann, nach 1918, kam es zu Polen. Friedrich ist 1903 in Krakau geboren. Er war ein sehr österreichischer Pole, Herr Gunther. Und dann, nachdem Hitler gewählt worden war, ein sehr deutscher.»
    «Und warum wären die Amerikaner an ihm interessiert?», fragte ich, obwohl ich schon so eine Ahnung hatte.
    «Friedrich war ehrgeizig, aber nicht stark. Jedenfalls nicht charakterlich. Körperlich war er schon stark. Vor dem Krieg war er Steinmetz. Ein ziemlich guter sogar. Er war ein echter Kerl, Herr Gunther. Ich glaube, das hat mich an ihm angezogen. Mit achtzehn war ich selbst ein ganz schöner Ausbund an Lebenskraft.»
    Das bezweifelte ich keine Sekunde. Es war nur zu leicht, sich vorzustellen, wie sie, in Shorts und weißem Turnhemd und mit einem Lorbeerkranz im Haar, in einem netten Propagandafilmchen von Dr.   Goebbels mit einem Reifen turnte. Nie hatte weibliche Lebenskraft blonder und gesünder ausgesehen.
    «Ich will ehrlich zu Ihnen sein, Herr Gunther.» Sie tupfte sich mit dem Zipfel ihres Taschentuchs die Augen. «Friedrich Warzok war kein guter Mensch. Im Krieg hat er schreckliche Dinge getan.»
    «Nach Hitler kann keiner von uns behaupten, ein reines Gewissen zu haben», sagte ich.
    «Es ist sehr nett, dass Sie das sagen. Aber es gibt Dinge, die man tun muss, um zu überleben. Und es gibt andere Dinge, bei denen es nicht ums Überleben geht. Diese Amnestie, die derzeit im Bundestag diskutiert wird. Da würde mein Mann nicht drunterfallen, Herr Gunther.»
    «Da wäre ich mir nicht so sicher», sagte ich. «Wenn jemand wie Erich Koch es riskiert, wieder aufzutauchen, um den Schutz des neuen Grundgesetzes für sich in Anspruch zu nehmen, dann dürfte das so gut wie jedem freistehen. Egal, was er getan hat.»
    Erich Koch war Gauleiter in Ostpreußen und Reichskommissar für die Ukraine gewesen, wo schreckliche Gräueltaten begangen worden waren. Das wusste ich, weil ich etliche davon mit eigenen Augen gesehen hatte. Koch baute auf den Schutz durch das neue Grundgesetz der Bundesrepublik, das die Todesstrafe ebenso verbot wie die Auslieferung bei neuen Anschuldigungen wegen Kriegsverbrechen. Koch saß derzeit in einem Gefängnis in der britischen Zone. Es würde sich weisen, ob er eine schlaue Entscheidung getroffen hatte oder nicht.
    Allmählich wurde mir klar, welche Richtung dieser Fall und mein neues Geschäft nahmen. Frau Warzoks Gatte war mein dritter Nazi in Serie. Dank Leuten wie Erich Kaufmann und dem Baron von Starnberg, von denen ich persönliche Dankesbriefe erhalten hatte, wurde ich bereits als der Mann gehandelt, an den man sich wandte, wenn man ein Problem hatte, bei dem es um eine Rotjacke oder einen flüchtigen Kriegsverbrecher ging. Das gefiel mir nicht sonderlich. Dafür war ich nicht wieder

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