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Das Janusprojekt

Das Janusprojekt

Titel: Das Janusprojekt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philip Kerr
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Massenmörder gehörte. Er sah aus wie ein ganz normaler Durchschnittsmensch. Das war das Erschreckende an den Konzentrationslagern und den Sondereinsatzgruppen. Es waren die ganz normalen Durchschnittsmenschen – die Anwälte, die Richter, die Polizisten, Hühnerfarmer und Steinmetze –, die das Töten übernommen hatten. Auf dem zweiten war es schon etwas eindeutiger: dem etwas molligeren Warzok quoll das Kinn über den Kragen des Uniformrocks. Er stand stramm und schüttelte einem strahlenden Heinrich Himmler die Hand. Warzok war zwei, drei Zentimeter kleiner als Himmler. Neben den beiden stand ein mir unbekannter SS-Gruppenführer. Das dritte Bild, das vom selben Tag stammen musste, war aus großer Entfernung aufgenommen und zeigte ein halbes Dutzend SS-Offiziere, darunter Warzok und Himmler. Die Schatten am Boden ließen auf einen sonnigen Tag schließen.
    «Diese beiden Aufnahmen wurden im August 1942 gemacht», erklärte Frau Warzok. «Wie Sie sehen, wurde Himmler in Janowska herumgeführt. Wilhaus war betrunken, und es war alles nicht ganz so eitel Sonnenschein, wie es aussieht. Willkürliche Brutalität war nicht nach Himmlers Geschmack. Jedenfalls hat Friedrich mir das erzählt.»
    Sie griff in ihre Aktenmappe und zog ein mit Schreibmaschine beschriebenes Blatt Papier heraus. «Das hier ist eine Abschrift diverser Einzelheiten aus seiner SS-Akte», sagte sie. «Seine SS-Nummer. Seine Parteimitgliedsnummer. Seine Eltern – sie sind beide tot, also haben Sie aus dieser Richtung keine Hinweise zu erwarten. Er hatte eine Freundin, eine Jüdin namens Rebecca, die er unmittelbar vor der Befreiung des Lagers ermordete. Vielleicht kriegen Sie ja aus Fritz Gebauer etwas heraus. Ich habe es nicht versucht.»
    Ich überflog die Auflistung, die sie erstellt hatte. Sie war sehr gründlich gewesen, das musste ich ihr lassen. Oder vielleicht auch ihr Verlobter. Ich sah mir noch einmal die Fotos an. Irgendwie fiel es schwer, sie sich mit dem Mann, der Himmler die Hand drückte, im Bett vorzustellen, aber ich hatte schon unwahrscheinlichere Paare gesehen. Was Warzok an ihr gefunden hatte, konnte ich ja verstehen. Er war klein, sie war groß. In diesem Punkt hatte er sich normal verhalten. Was sie an ihm gefunden haben mochte, war schwerer nachvollziehbar. Normalerweise heirateten große Frauen kleine Männer deshalb, weil es diesen nicht an Geld fehlte, sondern nur an Zentimetern. Aber Steinmetze verdienten nicht viel Geld.
    «Eins verstehe ich nicht», sagte ich. «Warum hat eine Frau wie Sie so einen Kerl überhaupt geheiratet?»
    «Weil ich schwanger war», sagte sie. «Sonst hätte ich ihn nie geheiratet. Nach der Hochzeit habe ich das Kind verloren. Und wie ich schon sagte, ich bin Katholikin. Wir binden uns fürs Leben.»
    «Gut, das will ich Ihnen mal abnehmen. Aber angenommen, ich finde ihn, was dann? Haben Sie darüber schon mal nachgedacht?»
    Ihre Nasenlöcher verengten sich, und ihr Gesicht bekam einen harten Ausdruck, den es vorher nicht gehabt hatte. Sie schloss die Augen, legte den Samthandschuh ab und offenbarte eine Stahlklaue, die da schon die ganze Zeit gewesen war.
    «Sie erwähnten vorhin Erich Koch», sagte sie. «Soweit mein Mann informiert ist, prüfen die Briten – in deren Besatzungszone Koch im Gefängnis sitzt, seit er im Mai wieder aufgetaucht ist – derzeit die Auslieferungsersuchen Polens und der Sowjetunion, wo die Verbrechen begangen wurden. Die Briten werden ihn trotz des Grundgesetzes und einer möglichen Amnestie, die die Bundesrepublik durchdrücken könnte, in die russische Zone ausliefern, da bin ich sicher. An die Polen. Sollte Koch von einem Warschauer Gericht schuldig gesprochen werden, erwartet ihn zweifellos die Höchststrafe nach polnischem Recht. Ein Urteil, das das deutsche Justizwesen nicht zulässt. Wir gehen davon aus, dass Friedrich Warzok das Gleiche widerfahren wird.»
    Ich grinste sie an. «Na, das ist doch mal ein klares Wort», sagte ich. «Jetzt verstehe ich, was Sie beide gemeinsam hatten. Sie sind ganz schön skrupellos, was? Bisschen wie eine Borgia. Lucrezia Borgia. Skrupellos und schön.»
    Sie errötete.
    «Kümmert es Sie wirklich, was mit so einem Menschen passiert?», fragte sie und schwenkte das Foto ihres Mannes.
    «Nicht besonders. Ich werde Ihnen helfen, Ihren Mann zu suchen, Frau Warzok. Aber ich werde Ihnen nicht helfen, ihm eine Schlinge um den Hals zu legen – auch wenn er es tausendfach verdient hat.»
    «Was haben Sie denn, Herr Gunther? Sind

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